- Kellerkind (eine Kurzgeschichte)

- Van Dorn (ein Romanfragment)

- Unvollendeter Mord

Kellerkind

”Eigentlich schon immer.”
Das hätte er antworten müssen, wenn ihn jemand gefragt hätte, wie lange er schon so lebte. Er kannte kein anderes Leben.
Na gut, er hatte von anderen Schreibern davon gehört. Es hätte einst Leben auf der Oberfläche gegeben. Und dort hätte es Grün gegeben und die Menschen wären aufrecht gegangen oder gar in Maschinen befördert worden
Aber er war Pragmatiker und solche Dinge waren in seinen Augen Legenden.
Eben Religionen, an die sich die Schwächeren klammerten, um ihr Leben erträglicher zu machen.
Träge robbte er zu der Tränke mit der Nährflüssigkeit. Er hatte für heute sein Soll erfüllt. Seinen kleinen Textcomputer, kaum größer als die dazugehörende Tastatur, hatte er wie immer auf den Rücken geschnallt. Er war hier geboren.
Hier in den Schächten. Und wie bei allen seiner Generation, waren seine Füße unterentwickelt und verkümmert. Dafür hatte er dicke Hornhäute an seinen Knien und Ellenbogen. Das Kriechen war seine natürliche Art der Fortbewegung.
Die Schächte waren sehr weitläufig, aber nur etwa 80 cm. hoch.
Niemand, der das metrische System kennen konnte, hat sie je vermessen.
Die Tränke war eine Vertiefung im ( an Beton erinnernden ) Boden der Schächte,
in dem sich die Absonderungen der Wanzen sammelten, um die Sklaven wie ihn zu ernähren.
Wäre er ein paar Generationen früher geboren worden, hätte er den penetranten Schweißgeruch bemerkt, der von der Flüssigkeit ausging. So aber kannte er nichts anderes und schlürfte zufrieden die nahrhafte Substanz. Natürlich hatte auch er seine wilden Jahre gehabt, in denen er versucht hatte, die Schächte zu ergründen.
Aber er war nur etwa 800 Meter weit gekommen ( und das war ein Drittel seines Heimatschachtes). Auf dem Weg mußte er Unmengen von Wanzen ausweichen.
Zwar reagierten die Herrscher eher gleichgültig auf Sklaven wie ihn, aber wenn man sich aufrichtete, konnte es passieren, daß sie nach einem schnappten.

Das war zwar nicht gefährlich, aber obwohl die Herrscher nur etwa halb so groß waren wie ein Mensch und immer unter der Decke hingen, war es doch sehr schmerzhaft. Den Spitznamen Wanzen hatten die Herrscher von den älteren Sklaven lange vor seiner Geburt bekommen. Offenbar gab es einmal Wesen in der alten Welt ; Wesen, die ungefähr das Aussehen der Herrscher hatten.
Ihm war das egal. Er war erst vor 3 T ´s befördert worden und durfte in der Nähe des Balgs arbeiten. Das war ein Privileg. Je näher man dem Balg kam , desto weiter kam man weg von den Schachtbegrenzungen. Und dort lebten die Outsider. Früher nannte man sie wohl Spinnen, Insekten und Skorpione.
Hier hießen sie einfach Outsider.
Die wenigsten von ihnen waren tödlich. Aber sie konnten schon unangenehm sein, wenn sie zu Hunderten auf einem herumkrabbelten.
Der Balg hingegen war immer im Zentrum einer Schachtsequenz und kontrollierte diese. Er sah aus wie eine rotgelbe, von Adern durchzogene, weiche Masse, die ständig pulsierte und wie die Herrscher an der Decke klebte.
Allerdings nahm der Balg etwa 4 - 5 m 2 ein.
Er fühlte sich wohl hier und der Balg war gütig.
Man durfte ihn nur nicht berühren. Einmal hatte er gesehen, wie ein Sklave den Balg berührte. Er wurde sofort verwertet. Sein Schrei war sehr laut in der üblichen Stille,
und etwas, was die Herrscher aus ihm separierten, sah fast aus wie der Balg.
Nur viel kleiner. Nun, er fühlte sich wohl hier. Er würde den Balg nie berühren.
Und außerdem war das Licht, jenes grünliche Leuchten, das schon die Herrscher abgaben, in der Nähe des Balgs viel heller. Er war zufrieden.
Er tippte einige Notizen in seinen kleinen Computer.
Wie üblich auf dem Bauch liegend, der mit der lederartigen Hautschicht gegen den Boden gesichert war. Sein Input wurde, wie immer, sofort abgerufen.
Über ein System, das er nicht verstand. Er war aufgestiegen.
Er diente fast direkt dem Balg. Und er ärgerte sich über Legenden und Phantasien :
Oberfläche, Grün, Aufrechtgehen ...
Was für ein Blödsinn !
Autor : BE : 19. 3. 1997

Van Dorn ein Fragment

"...ist ein Ende der Hitzewelle noch nicht abzusehen."
Mit der zeitlupenartigen Trägheit eines Menschen, der in einem Appartement ohne Klimaanlage im hochsommerlichen New York lebt, erhob sie sich und ging zum Fenster. Die erhitzte Luft flimmerte und ließ die Szenerie auf der Straße wie ein unscharfes Fernsehbild erscheinen. Es war elf Uhr vormittags. Ein sonniger, ein sehr sonniger, Samstag im August. Die Vorstellung, jetzt in einem Büro zu sitzen, war wirklich grauenerregend. Unter diesen Umständen, erschien ihr der vor Monaten festgelegte Urlaub fast wie ein gnädiges Schicksal. Sie mochte ihren Job wirklich, aber bei solchen Temperaturen war ihrer Meinung nach alles, was über Fernsehen, lesen und Eistee schlürfen hinausging, ein Fall für Amnesty International. Am Mittwoch ging es wieder los. Dann hatte die gute alte Trad sie wieder. Die Northern State Traditional war eine kleine, aber renommierte Versicherung. Sie wurde gegen Ende des letzten Jahrhunderts von einem reichen Mann extra für andere reiche Männer gegründet. Es war eine relativ kleine Gesellschaft. Aber die Kundenkartei war in etwa identisch mit dem Verzeichnis der Golden Cards bei American Express. Es erschien ihr immer noch wie ein Wunder, daß ausgerechnet sie bei einer solchen Eliteversicherung angenommen worden war. Sicher, sie war gut in ihrem Job und konnte mit Menschen umgehen. Aber das konnten andere auch. Sie rätselte immer noch, warum die Altehrwürdigen sich für sie entschieden hatten. Rina war aus Bloodcoven, Massachusets. Einem Nest, das selbst für manche Landkarten zu klein war.
Sie erinnerte sich nicht gern an die Zeit dort zurück. Ihre Jugend ließ sich exakt und lückenlos mit dem Wort langweilig beschreiben.
Selbst die Jahre in der Highschool, mit den Partys und ersten Verabredungen, waren öde, die Erinnerung daran blaß wie ein zwanzigjähriges T-Shirt. Erst auf dem College begann sie richtig zu leben. Oh, nichts wildes. Ein paar flüchtige Bekanntschaften, mit gelegentlichem, situationsbedingtem Sex. Sie war nie ein Vergnügungsmensch gewesen. Sie rauchte nicht, trank niemals etwas stärkeres als ein Glas Wein zum Essen und als sie mit siebzehn mal an einem Joint gezogen hatte, hat sie ihrer Zimmergenossin aus dem oberen Etagenbett auf den Kopf gekotzt. (Woraufhin diese auch nicht mehr an sich halten konnte. Und schließlich roch der ganze Raum noch zwei Wochen nach halbverdauten Schinkensandwiches.)
Im Übrigen hatte sie genug mit ihrem Studium zu tun, so daß sie bis zu ihrem Abschluß (mit Auszeichnung) nicht über Langeweile klagen konnte. Die Tinte auf ihrem Diplom war noch nicht trocken, als sie die ersten Bewerbungen an diverse Versicherungen schickte. Heute konnte sie selbst nicht mehr mit Sicherheit sagen, warum sie gerade in diesem Gewerbe arbeiten wollte. Irgendwie war es einfach so gekommen. Die Trad war nur eine der von ihr erwählten Adressen und eigentlich nur Pro Forma. Sie hatte keine Sekunde daran geglaubt, daß ausgerechnet dieser Laden an ihr interessiert wäre.
Aber wie das Leben so spielt, war der Bescheid der Trad der einzige positive. Und so kam es daß sie, praktisch ohne Pause, nach dem Studium an ihrem Schreibtisch bei der NST ihre Arbeit aufnahm. Sie war in der Executiv-Abteilung, der "Henker-Riege" im Firmenjargon. Das heißt, ihre Arbeit bestand darin, Schadensfälle zu prüfen und sich mit den Begünstigten über die Regelung derselben zu einigen. Und in ihren eineinhalb Jahren hatte sie sich zu einer erbarmungslos loyalen Henkersbraut entwickelt.
Damals hatte sie auch ihr schönes, kleines Zweizimmer Appartement gemietet. Sie fühlte sich wirklich wohl hier, am Rande von Queens.
Hier war es nicht so laut, nicht so dreckig und viel grüner als tiefer in der City. Es war ein altes, aber gepflegtes Holzhaus im New England Stil. Und für diese Gegend war es recht günstig. Die Vermieterin wohnte im Erdgeschoß. Eine liebenswerte alte Lady, die zuviel redete und absolut nicht verstehen konnte, daß Präsident Eisenhower letztes Jahr Soldaten nach Arabien geschickt hatte, wo ein anständiger Amerikaner nichts verloren hatte. Außerdem war sie eine treue Kundin der NST, was sich bei der Einigung über die Miete durchaus als Vorteil erwiesen hatte. Rina verdiente genug für eine modernere Wohnung. Sie war nur bisher zu träge gewesen, sich etwas anderes zu suchen. Und wie gesagt, sie fühlte sich hier wohl. Aber an Tagen wie Heute, an denen man für eine Klimaanlage einen Mord begehen würde, reifte die Überlegung, sich etwas anderes zu suchen, zum Entschluß. Nun ja, sie würde sich darum kümmern...später. Seufzend wandte sie sich ab, um den Tag zu beginnen. Anders gesagt, sie ging duschen. Und dachte dabei an Cornflakes und ....


Milch! Pfui Teufel, das war ja Milch! "Hennings, Sie verdammter Trottel! Wenn es etwas gibt, das ich hasse, dann ist das Milch. Ich hasse auch Milchreis, Milchshakes, und besonders hasse ich Milchgesichter wie Sie Hennings. Hören Sie mich Mann?" Man kann nicht sagen, daß Perry Cure heute besonders schlecht gelaunt wäre. Es war eher einer seiner guten Tage. Wenn es einen Preis zu gewinnen gäbe für den griesgrämigsten und liebenswertesten Menschen der Welt, hätte Perry reelle Chancen. Cure war 51 Jahre alt, wirkte aber mit seinem wirren, grauen Haar und seinem zerknitterten Gesicht gute 20 Jahre älter. Seit seinem Schulabschluß kann sich niemand erinnern, ihn jemals ohne Zigarrenstumpen im Mund gesehen zu haben. Seltsamerweise brannte die Zigarre nie, weshalb böse Zungen behaupten , es wäre seit zwanzig Jahren dieselbe. Er war ein waschechter New Yorker. Und jedes Jahr zum Anfang der Baseball-Saison, erschien er stolz mit einer Yankees Mütze im Büro. Seinem offenbar einzigen nicht zerknitterten Kleidungsstück. Wenn man Perry so sah, war man geneigt, ihm einen Dollar zuzustecken. Aber Tatsache war, daß er einer der fähigsten Mitarbeiter der Northern Traditional war. Er war der Koordinator. Er verteilte die Fälle unter seinen Leuten. Und zwar mit fast traumwandlerischem Geschick. Er wußte genau, ob er einem alternden Witwer eine junge Frau mit langen Beinen schicken sollte, oder einer alten Dame einen gutgekleideten, jungen Mann. Trösten, Vertrauen erwecken oder einschüchtern. Er hatte für alles seine Leute. Nur bei diesem Dermott-Fall war er sich nicht sicher. Zum ersten Mal in den 25 Jahren, wußte er nicht, wie er es angehen sollte. Und dann bringt ihm dieser junge Schnösel auch noch Milch zum Lunch! nun, das mit dem Dermott-Fall würde sich regeln. Es mußte. Und um einen gewissen jungen Mann würde er sich sofort kümmern. "Hennings!!!!!" Er brüllte aus Leibeskräften, als die Tür aufging und ein sehr blasser, sehr junger Mann durch dieselbe lugte. In seinem Gesicht spiegelte sich die Erwartung einer Naturkatastrophe. Die Tür schloß sich und Perry lief zu einer Form auf, die selbst Dschinghis Khan alle Ehre gemacht hätte.

"Guten Morgen, Miss Warden. Hatten Sie eine nette Zeit?" "Ja danke, Willy. Es war wirklich mal nötig, aber jetzt bin ich wieder fit. In alter Frische sozusagen..." "Ja, ja und weiter..." Rina hatte verstanden. Abgeschaltet. Willy, der Portier, hatte die Angewohnheit, die Menschen zu grüßen oder etwas zu fragen, und im nächsten Augenblick ihre gesamte Existenz zu vergessen. Aber wenn er die Menschen registrierte, war er sehr freundlich. Er war schon ewig da, ein Fossil aus frühen Jahren der Gesellschaft. Es ging die Legende, daß man so gegen 1888 das Gebäude der Trad um ihn herum gebaut hatte... Vielleicht stimmte das ja. Er war ohne Fragen schon alt wie Methusalem. Und er war, da war Rina sicher, unkündbar. Möglicherweise war er auch, da war sie nicht so sicher, unsterblich. Sie nahm den Fahrstuhl hinauf zur Henkers-Riege im 3. Stock. Sie fühlte sich sofort wieder heimisch in dem großen Büro mit dem Duft nach Kaffee und Zigarettenrauch. Cindy, ihres Zeichen geliebte Kollegin rechter Hand, telefonierte. Sie telefonierte immer. Das war ihre Bestimmung. Die pummelige kleine Frau brachte als einzige das Kunststück fertig, 80% ihrer Fälle zu lösen, ohne das Haus zu verlassen. Curtis war nicht da und das war gut so. Curtis Delacroix war der ungeliebte Kollege zur Linken. Er behauptete , aus verarmtem französischem Adel zu stammen und sprach von seinem Vater immer als der Baron. Tatsächlich stammte er aus einem Kaff bei Boston, hieß Gillcross, und sein Vater hatte einen Laden für orthopädisches Schuhwerk. Curtis war ein hoffnungsloser Macho. Ein chauvinistisches Arschloch wie aus dem Buch. Seit sie angefangen hatte, versuchte er Rina mit seinem blondgeföhnten Sunnyboy-Image zu beeindrucken. Wenn er nicht gar so schleimig wäre, hätte sie sich vielleicht schon erweichen lassen, um ihre Ruhe zu haben. Nachdem Rina ihre Schuldigkeit getan und ihren ergebnislosen Urlaub in den schillerndsten Farben geschildert hatte, war die alltägliche Routine wieder dran. Methodisch begann sie den erfreulich kleinen Stapel von Schriftstücken auf ihrem Schreibtisch durchzusehen. Erledigungen, Ablagen, Bestätigungen und nur zwei, zudem problemlose Aufträge. Das war alles heute zu schaffen. Gut so. Sie ließ nicht gern etwas liegen. Dann fand sie die Notiz. Mit Tesafilm an ihren Rolodesk geheftet, in der unverkennbaren, fahrigen Handschrift ihres Chefs. "Problematischer Fall; Genau richtig für Sie; Bitte Rücksprache in meinem Büro." Ohne Unterschrift. War auch nicht nötig. Schau an, ...der große Mr.Cure wollte sie persönlich Sprechen. Das war ja noch nie da. Nun gut. Dann würde sie sich also nach der Mittagspause in sein Allerheiligstes begeben.


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Gottverfluchte Scheiße noch mal! So hatte er sich das nicht vorgestellt. Damals hatte er gedacht; das wäre genau der richtige Job für Ma Peabody's kleinen Willbur. Für einen renommierten (und arschteuren) Verlag für Fachliteratur den Zusteller machen. Yessir, das war schon toll. Leute, die sich Zeitschriften leisten konnten, wie er sie auslieferte, hatten große Häuser, lockere Brieftaschen und hübsche Dienstmädchen. Und die ganzen reichen Witwen ... Chancen über Chancen. Und jetzt das! Jeden Monat mußte er das "Science in move Magazin" hierher liefern. Die Ausgabe kostete 21 Dollar das Stück. Jesus, 21 Bucks für ein Haufen Wörter, die Willbur zumeist nicht einmal aussprechen, geschweige denn verstehen konnte. Wer zum Teufel wollte sowas lesen und wohnte in der schlimmsten Ecke von Brooklyn? Adressiert war die Schwarte an Mr. W.A.Van Dorn, zu Händen Mr. Tripple. Angenommen und bezahlt wurde es von einem sauertöpfischen alten Knacker in einer schäbigen Kellerwohnung. Mr. Tipple eben. Im Grunde konnte es Willbur völlig egal sein, wer soviel Kohle für soviel Blödsinn ausgab. Aber er haßte es verdammt noch mal, in Brooklyn herumzulaufen. Das gefiel ihm überhaupt nicht, Nosir. Seinem Stammtaxifahrer mußte er immer 10 Extradollar aus der Spesenkasse geben, weil der nach eigenen Angaben hier in der Gegend sein linkes Auge gelassen hatte. Und das andere brauchte er zum taxifahren. Will konnte den Mann gut verstehen. In dieser Gegend gab es absolut keine normalen Menschen. Nutten, Zuhälter,
Messerstecher, Jugendbanden, Junkies, Dealer, schon die Kinder verkauften Crack an vorbeifahrende Auto. Und selbst die Rentner waren vermutlich pensionierte Verbrecher. Dummerweise mußte er das letzte Stück immer zu Fuß gehen. Die Wohnung des Kunden lag in einer schmalen, abfallgefüllten Gasse in der es selbst am Tage dunkel wie in einem Rattenarsch war. Außerdem, so versicherte ihm sein Fahrer mit Grabesstimme, fuhr niemand dort mit dem Auto herum. Nicht einmal die Shy-Boys oder Big Al`s Männer und die hatten vor nix und niemand nich Angst. Wahrscheinlich würde dieser verblödete Nigger demnächst noch behaupten es würde dort spucken. "Endstation, Mister. Da wären wir. Ich warte wie immer, aber beeilen Sie sich lieber. In letzter Zeit ist hier die Hölle los. "Die Stimme des Fahrers riß ihn aus seinen Gedanken. "OK, Roscoe ich mach' so schnell es geht." Willbur Peabody stieg aus dem Wagen und atmete die stickige Luft, die nach Verfall und Gewalt roch. Der Schweiß floß ihm in Strömen und er wußte, daß das nicht nur durch den Hochsommer so war. Er setzte sich in Bewegung und dachte dabei an Worte wie Versetzungsgesuch und Kündigung.


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"...Na und!? Dann dauert es eben drei beschissene Tage. Ich will... Oh, guten Tag Miss Warden, setzen Sie sich.
Ich will daß Sie dieses Arschloch weichkochen und wenn es drei Jahre dauert. Was...? Nein. Es ist mir scheißegal, ob er ein Earl oder der König von Siam ist. Ich will seine Unterschrift. Ist das klar? Gut." Mit geübtem Schwung knallte Perry Cure den Hörer auf die Gabel. Rina würde wohl nie verstehen, wie er es schaffte, in Sekundenschnelle von wilder Stier auf netter Onkel und zurück zu schalten. Bewundernswert. Aber so war er eben. Und Ihr gegenüber war er immer nett und höflich. "Sie wollten mich sprechen Mr. Cure ?" Sie setzte sich ihm gegenüber und schlug die langen Beine übereinander. Perry sah sie an und wünschte sich, wie immer wenn er sie sah, zwanzig Jahre jünger zu sein. Er verschob sein Gesicht zu dem, was er für ein freundliches Lächeln hielt, bis er aussah wie ein 90-jähriger Eskimo. "Wie war der Urlaub ... gut erholt ?"
"Naja, Die Hitze..." "Ja, die macht uns allen zu schaffen. Worum es geht Miss Warden... Ich habe hier einen Fall, wie er mir noch nie untergekommen ist. Und ich habe schon fast alles gesehen. Die Sache ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich, und ich würde es begrüßen, wenn sie sich darum kümmern könnten. Der Fairneß halber sage ich ihnen schon jetzt, daß sich das Ganze als ziemlich schwierig und langwierig erweisen kann. Was war bis jetzt ihr größter Fall ?" "Die Braddock-Larraby-Sache Sir. Letztes Jahr. Vier Tage, sechs Besprechungen und ein Flug nach Detroit." "Nun, in diesem Fall wird es wohl erheblich länger dauern. Wenn also irgendwelche privaten Probleme auftauchen könnten, dann sagen Sie es nur. Ich würde bestimmt jemand anderen finden." Für sie mußte sich das nach der großen Chance anhören, nach einer Bewährungsprobe auf der Karriereleiter. Und das sollte auch so sein. Die Wahrheit verhielt sich etwas anders. Es war Perry wirklich egal, wer diesen Fall übernahm. Aber nur deshalb, weil ihm diese ganze verdammte Sache so schleierhaft war. Die junge Warden wäre wohl ganz gut. Sie war attraktiv und fleißig und konnte, wenn nötig, sehr energisch sein. Warum also nicht. Rina überlegte nicht lang. Sie war kinderlos, hatte keine feste Beziehung, nichts hielt sie zwingend in der Stadt. Außerdem versprach dieser Auftrag eine erfrischende Abwechslung, bei der sie zudem ihr ganzes Können zeigen konnte. "Nein Sir, kein Problem. Ich finde, das Ganze hört sich interessant an, und wenn ich nicht klarkommen sollte, werde ich einfach nach Hilfe schreien!" Perry lachte und das hörte sich an wie V8 mit kaputten Auspuff. "Oh nein, Lady; Ich glaube nicht, daß Sie das nicht schaffen. Auf dem Collage nannte man mich Bulldog, aber mit Ihnen möchte ich trotzdem keinen Streit. Es geht ja auch nicht darum, daß der Klient ein besonders dummes Arschloch wäre. Entschuldigen Sie den Ausdruck. Das Problem liegt zunächst einmal darin, ihn überhaupt zu finden. Das allerdings wird nicht so ganz einfach." Jetzt war ihre Neugier erwacht. Das war ja fast ein Fall für einen Detektiv. "Unbekannt verzogen?" mutmaßte sie. "Ha, so ungefähr. Also passen Sie auf, die Sache verhält sich folgendermaßen... " Und dann erzählte Perry ihr eine wirklich seltsame Geschichte.


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Düster, aber gemütlich. Er liebte Gaslicht. Irgendwas lag in der Luft. Er war unruhig und das war er schon lange, sehr lange nicht mehr gewesen. Es roch nach Veränderungen. Er legte sein Journal beiseite. "Science in move" Ha, Blödsinn. Die Wissenschaft bewegte sich nicht. Sie kroch, tastete. Langweilig. "Tower?" sagte er leise. Das Zimmer wurde merklich dunkler, als er eintrat. "Tower, wie steht es um unsere Bestände? Es liegt was in der Luft." "Wir sind bereit. Für was auch immer." antwortete der andere. Auch er sprach sehr leise, und es hörte sich an wie das Knurren eines großen Hundes. "Aber wir brauchen Geld," fügte er hinzu. "Ach ja, Geld. Wie langweilig." Für eine Sekunde wurde sein Blick leer. "Geh nach Gypsies Corner. So gegen elf." sagte er dann. "Es wird einfach sein." Der größere ging wieder. Das Gaslicht zischte leise.

"Der Vertrag geht zurück auf das Jahr 1941. Jesus, damals bin sogar ich noch in kurzen Hosen rumgelaufen. Der damalige Vertragspartner war ein stinkreicher ungarischer Einwanderer, der offenbar vor irgend etwas große Angst hatte. Das ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, daß sein Ruf in der Geschäftswelt der eines knochenharten Schweinehundes war. Wie auch immer, jedenfalls wollte der Kerl seinen Alabasterkörper für 3,5 Millionen Dollar versichern. Soweit, so gut. Aber... Normalerweise erlischt so ein Vertrag mit dem natürlichen Tod des Klienten. Nicht so in diesem Fall. Der Vertrag läuft bis zum Jahre 2041. Gestorben ist der Mann 1972. Na, das ist der Hammer? Dieser Irre hat über 70 Jahre seine gottverdammte Leiche versichert, hat man schon solche Scheiße erlebt? Entschuldigen Sie den Ausdruck. Von so einem Deal kann man nur träumen. Man kassiert regelmäßig eine dicke Prämie, nur damit seinem Kadaver nichts passiert, hihi. Bloß, daß letzt Woche genau das passiert ist. Ich will gar nicht diskutieren, was den Mann zu einer solchen Idiotie getrieben hat. Ich meine, als der Vertrag abgeschlossen wurde, war er Mitte 50. Er konnte also kaum damit rechnen, bis 2041 zu leben. Natürlich geriet der Vertrag mit den Jahren in Vergessenheit. Bis letzte Woche. Der Anwalt, der das Treuhandvermögen verwaltet, aus dem die Police bezahlt wird, setzte uns von der Grabschändung in Kenntnis. Irgend jemand hat offenbar den alten Knaben ausgebuddelt und einige unschöne Dinge mit seinen Überresten angestellt. Heraus zu finden, was genau das war und ob wir haftbar gemacht werden können, wird ihre erste Aufgabe in diesem Fall sein." Er schaute sie erwartungsvoll und fast ein bißchen schadenfroh an. "Wer wäre denn der Begünstigte?" "Ach richtig. Wo habe ich bloß meinen Kopf? das ist eine weitere, bizarre Variante der Geschichte. Einzige lebende Verwandte des Toten ist seine Großnichte. Sie ist 27 Jahre und in einer Buchhandlung angestellt. Jedenfalls war sie das bis sie letzte Woche verschwand." "Verschwand?" "Ja, Sie haben richtig gehört. Einen Tag, bevor das Grab verwüstet wurde, kam sie völlig aufgelöst auf eine Polizeiwache und wollte einen Überfall mit versuchter Vergewaltigung anzeigen. Wie das in solchen Fällen ist, wurde sie beruhigt und nach Hause geschickt. Dort kam sie nie an. Von ihrer Wohnungsgenossin wissen wir, daß sie nicht vorhatte, zu verreisen und auch nichts mitgenommen hat. Die müssen Sie also auch aufstöbern. Nun, das war es, was ich meinte, als ich sagte, der Fall wäre problematisch. Hier sind alle unsere Akten. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen der Spesenrechnung. Bei 3,5 Mille darf die Untersuchung ruhig ein bißchen teurer ausfallen. Ich wünsche Ihnen viel Glück." Na prima! Hier hast du es, Baby. Es ist ein Scheißdreck, aber er kommt von Herzen. Manchmal konnte man Perry wirklich fast hassen. Sie nahm die dünne Aktenmappe und verließ das Büro.

Es war fast wie ein Stilleben. Das einzige Geräusch kam von der Hochbahn, ein paar Block weiter. Gelegentlich bellte ein Hund. Und die Fliegen. Es gab viele Fliegen, Millionen von ihnen. Es war 6 Uhr 30; zu früh für Passanten. Die Insekten beherrschten die Szenerie. Sie umschwirrten den Wagen wie Bienen ihren Stock. Es war eine 89 er Cadillac Limousine, verlängert, mit Fernsehantenne und verdunkelten Scheiben. Staubbedeckt und doch majestätisch stand er auf dem heruntergekommenen Hinterhof, wie die goldene Kutsche vor Cinderella`s ärmlicher Hütte. Der Chauffeur saß entspannt am Steuer. Er war tot. Ein kleines Loch zierte seine linke Schläfe. Die rechte Seite seines Kopf war eine einzige zerfetzte Wunde und jetzt von Fliegen bedeckt. Er war nicht die einzige Leiche. Trotz der frühen Stunde waren es bereits 30 Grad. Der Gestank war bestialisch. Die anderen drei Männer wurden nicht erschossen. Sie lagen mit grotesk verrenkten Gliedern im Staub. Durch ihre teuren Anzüge war stellenweise Blut gesickert. Nicht viel. Es waren zwei schwarze und ein südländischer Typ. Der eine Neger, der größere, hatte noch seine Hand noch in der Brusttasche verkrallt. Der Südländer lag auf dem Bauch, aber seine toten Augen starrten himmelwärts. So würde man sie früher oder später finden. Das war unerheblich. Die Männer kannten keine Eile mehr.


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Heute hatte Rina nicht soviel Glück. Curtis war schon da und kaum, daß er sie erblickte, sprang er auf und scharwenzelte um sie herum. Gehüllt in eine Wolke von Pitralon, seine Fönwelle auf und ab springend wie der Bommel einer Mütze, erkundigte er sich gleichzeitig nach ihrem Urlaub und ihrem Interesse mit ihm ein Prince-Konzert zu besuchen. Sie kannte wirklich keinen anderen derartig penetranten Menschen. "Hör zu Curtis, mein Urlaub war prima, Prince ist ein lächerlicher Weichspüler und ich habe zu arbeitend , verpiß dich." Er machte ein übertrieben schockiertes Gesicht und machte sich Über die Post her. Sie wußte, daß er ordinäre Ausdrücke von Frauen haßte. Sowas war in seinen Augen Männersache. Es war auch sonst nicht ihre Art, aber eine gute, die einzige, Möglichkeit ihn schnell los zu werden. Sie freute sich diebisch, daß er nun auch ihre Fälle bearbeiten mußte. Denn Perry hatte ihr zugesichert, daß sie bis zur Klärung des Dermott Falles mit nichts anderem behelligt werden würde.
Ach ja, dieser Fall... Sie hatte sich seit dem Gespräch mit ihrem Chef immer wieder gefragt, ob sie sich nicht übernommen hatte.
Jetzt war es zu spät. Also an die Arbeit. Sie setzte sich mit entschlossener Miene an ihren aufgeräumten und postfreien Schreibtisch.
Was hatte sie ? Eine hochversicherte, geschändete Leiche, eine verschwundene Nichte, und einen Anwalt mit einem Treuhandvermögen.
Der Anwalt. Da mußte sie ansetzen. Er war der einzig erreichbare in diesem Verwirrspiel.
Sie schlug die dünne Akte auf, die nicht viel mehr als eine Kopie des Vertrages, einige Zahlungsbelege und drei Adressen enthielt. Die des Verstorbenen, die der Nichte, und die des Anwalts.
Mit Telefonnummer, sehr schön. Rina nahm den Hörer ab und wählte.
„Anwaltskanzlei Straker und Barlow, Guten Tag.“
Die Stimme war kultiviert, ein wenig quengelig und sehr affektiert.
„Guten Tag, hier spricht Irina Warden von der Northern State Traditional Versicherung.
Ist Mr. Straker zu sprechen ?“
„Tut mir leid, Mr. Straker ist nicht im Haus. Worum geht es denn bitte ?“
„Es geht um einen ihrer Klienten, Mr. Dermott....Mr. Straker verwaltete das...“
„Möchten sie einen Termin mit Mr. Straker machen ?“
Rina haßte es wenn man sie nicht ausreden ließ.
„Ja das möchte ich, undzwar...“
„Donnerstag nächster woche wäre...“
Jetzt war Rina wirklich sauer.
„Jetzt hör mal zu Schätzchen und wag es nicht mich noch einmal zu unterbrechen. Die Sache ist sehr eilig. Also sprechen sie mit Mr. Straker und rufen sie mich sofort zurück, wenn er Zeit für mich hat. Verbindlichen Dank.“
Sie knallte den Hörer auf die Gabel, als ihr einfiel, daß sie vergessen hatte ihre Nummer zu hinterlassen. Andererseits müste die Kanzlei die Nummer der TRAD haben. Andernfalls sollte doch diese ekelhafte Tippse das ausbaden.
Wie aber sollte sie weitermachen bis der Anwalt sich meldete.
Sie schnappte sich eine Büroklammer. Es war ihr absolut schleierhaft, wie jemand nachdenken konnte, ohne dabei eine Büroklammer zu zerlegen.
Gerade als sie ein Trapez biegen wollte, summte das Telefon.
„Ex- Abteilung, Warden...“
„Miss Warden, hier ist ein Mr. Straker für Sie.“
Teufel auch, das ging aber schnell.
„Stellen sie durch Rina.“
Die zweite Rina in der Firma war Telefonistin. Sie hieß tatsächlich Farina, wie das kleine Negermädchen bei den kleinen Strolchen..
„Irina Warden hier...Mr.Straker?“
„Ja, guten Morgen Miss Warden oder Mrs ?“
„ Miss war schon richtig. Mr Straker, es geht um den Dermott- Fall.Sie hatten uns von dieser Grabschändung unterichtet. Und , naja...die Leiche war versichert, und...Nun kurzum dieser Fall ist wirklich etwas seltsam und meine Informationen darüber sind im Moment mehr als dürftig. Ich dachte, sie könnten mir etwas weiterhelfen. Zum Beispiel mit einigen Details dieser Grabschändung.“
„Ich kann gut verstehen, daß Ihnen das Ganze einiges Kopfzerbrechen macht.“
Der Anwalt hatte eine sonore, etwas brüchige Stimme.
Rina nahm an, daß er wohl nicht mehr der jüngste war.
„Ich halte es allerdings für besser,“ fuhr er fort, „ wenn wir uns treffen würden um darüber zu sprechen. Paßt es Ihnen Heute abend, gegen neunzehn Uhr ?“
„ Ja, das paßt mir gut. Sie sind sehr freundlich Mr. Straker.“
Ein trockenes Lachen erklang.
„ Mit Freundlichkeit hat das wenig zu tun mein Kind. Eher mit Neugier. Können Sie in meine Kanzlei kommen ?“
„ Aber natürlich. Ich werde pünktlich sein.“
„ Sehr schön. Bis dann also.“ Damit hängte er ein.
Was zum Teufel meinte der Mann damit...Neugier ?
Wie auch immer, das wäre erledigt. Sie hatte noch den ganzen Tag Zeit. Also würde sie versuchen, bei der Polizei etwas über die Nichte zu erfahren.
Auf zu den Cops.

Rina genoß das Gefühl, ausnahmsweise einmal nicht auf die Spesenrechnung achten zu müssen. Normalerweise hätte sie die U- Bahn benutzt, aber so konnte sie guten Gewissens ein Taxi nehmen.
Bei dieser Hitze war das eine echte Erleichterung. Ihr Ziel war das 14. Revier, Central Park west, sie hatte bei Perry nachgefragt.
Er war etwas unangenehm berührt, denn sie war ihm auf dem Gang begegnet und die Tatsache, daß sie im Stehen einen Kopf größer war als er, irritierte ihn immer wieder.
Früher hatte sie Schwierigkeiten mit ihrer Größe gehabt, aber heute gefiel es ihr sogar manchmal, auf Männer herabsehen zu können.
Sie maß genau 1,80 Meter. Und wenn sie hochhackige Pumps trug, was sie ihrer wohlgeformten Beine wegen öfter tat, erreichte sie die beeindruckende Größe von fast 1,90 Meter. Bei alledem hatte sie das Glück, nicht die Körpersprache und den Gang eines Berufsringers zu haben, wie es bei so großen Frauen oft der Fall war.
Sie hätte weder mit Liz Taylor konkurieren können, noch eine Chance als Model gehabt.
Aber sie hatte eine gute Figur und war durchaus als hübsch zu bezeichnen.
Das mußte eben reichen.
„ Tschuldigung Missie, ich lasse Sie ja gerne weitertreumen, könnte auch ein Nickerchen vertragen. Aber die Uhr läuft weiter.“
„ Oh natürlich, entschuldigen sie. Was machts ?“
„ Schon in Ordnung Missie. Dafür fahren wir ja Taxi... damit die Leute träumen können, statt selbst zu fahren. Elf actzig bekomme ich.“
Der übergewichtige Schwarze hinterm Steuer grinste gutmütig, und sie beschloß alles auf eine Karte zu setzen, und gab einen Dollar Trinkgeld.
Das 14. Revier war in einem vierstöckigen Gebäude untergebracht, daß dringend einen Außenanstrich brauchte. Drinnen war es stickig und voll hektischer Betriebsamkeit.
Rina kämpfte sich durch das Gewühl zum diensthabenden Seargent durch.
Der pummelige Mann kritzelte gelangweilt in irgendwelchen Formularen herum.
„Entschuldigen sie Sgt...“
„Geht es um Leben und Tod ?“ fragte er ohne aufzuschauen.
„Äh...nein eigentlich nicht.“
„ Dann warte ´ne Sekunde Schätzchen.“
Nachdem sie etwa vier Sekunden dem Beamten beim Schreiben zugesehen hatte, beschloß sie es mit einer tollkühnen Notlüge zu versuchen.
„ Hören sie, ich möchte ja nicht lästig fallen, aber ich komme wegen einer Entführung. Kidnapping, sie verstehen ?“
Der Seargent blickte auf. Er wirkte jetzt interessiert, aber immer noch sehr müde.
„ Oh Scheiße !“
Er sagte das mit tiefer Inbrunst und telefonierte dann nach einem freien Vernehmungsbeamten.
Danach wandte er sich wieder seinen Formularen zu und hatte ihre Anwesenheit völlig vergessen.
Sie dachte sich, daß dieser Mann irgendwie mit Willy verwandt sein mußte.Dann bat sie ein hagerer, großer Polizist in eins der Nebenzimmer. Nachdem beide sich gesetzt, und er seine Papiere zurechtgelegt hatte, sah er sie aus müden Augen an und stellte sich vor.

„ Mein Name ist Baskerville. Und glauben sie mir, ich habe schon alle Witze über Hunde gehört. Also kommen wir gleich zur Sache. Wer wurde entführt ?“
Mit allem Interesse, das ein übernächtigter Mann noch aufbringen konnte, blickte er ihr ins Gesicht. Der Mann tat ihr fast leid, aber sie wollte sich auf keinen Fall abwimmeln lassen.
Also entschied sie sich für die forsche Tour.
„ Ich bin Irina Warden, NST“
Abkürzungen machten was her. Die meisten Bullen fragen nicht nach wenn man FBI, CIA oder eben NST sagte.
„ Letzten Dienstag hatten sie hier eine Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung einer jungen Frau...äh“ sie schlug ihr Adressbuch auf und sah Cindys Telefonnummer vor sich.
„ Gwendolyn Hart. Diese Frau wird seitdem vermißt. Ich wüßte gern was genau sich an diesem Abend abgespielt hat.“

"Da gibt es nicht viel zu erzählen Miss. Ich habe zusammen mit Officer Carter, Rose Carter, die Anzeige aufgenommen. Die Frau legte keinen Wert darauf mit einem weiblichen Beamten allein zu sprechen, also blieb ich eben dabei.
Sie kam hierher hereingestürmt und brabbelte ständig etwas von Überfall, Monster, Vergewaltigung undsoweiter. Ich meine sie schrie nicht oder so. Sie war einfach nur verwirrt. Vermutlich unter Schock. "
"Wie sah sie aus ?"
"Eigentlich nicht schlimm. Sie war nicht verletzt oder so. Eine recht kleine junge Frau, so um die 1,60 m. Ihre Sachen waren ein wenig derangiert und die Haare wirr undsoweiter, aber kein zerrissener Rock oder so, eher wie jemand, der sich zu hastig umgezogen hat."
Rina musterte ihn nachdenklich.
"Sie haben ihr die Vergewaltigung nicht so ganz abgenommen, wie ?"
"Um ehrlich zu sein, ich hatte meine Zweifel. Und Rose, ich meine Officer Carter, auch. Wissen sie, unverletzt, die Kleidung intakt undsoweiter...
Außerdem hatte sie ja auch nicht gesagt, daß sie vergewaltigt wurde.
Sie erwähnte ein; zweimal das Wort, aber ohne jeden Zusammenhang. Sie brabbelte nur dauernd vor sich hin. Das war fast unheimlich.
Das Einzige, was wir klar heraushören konnten, war, das im Park jemand sie angefallen hatte. Ein Monster sagte sie, Hihi. Was sie dort gemacht hatte, wo sie hinwollte, wer das gewesen sein könnte, alles Fehlanzeige.
Die Frau war einfach zu aufgeregt. Vielleicht hat sie auch nur rumgesponnen, das haben wir hier öfter."
Nachdem was sie im Foyer gesehen hatte, konnte Rina sich das lebhaft vorstellen.
"An den genauen Wortlaut können sie sich wohl nicht mehr erinnern ?"
"Oh nein Lady, nun wirklich nicht. Aber wenn ihnen das weiterhilft, kann ich ihnen das Vernehmungsprotokoll kopieren."
"Das wäre wirklich sehr nett."
"Kein Problem." Er stand auf, zögerte dann aber.
"Eines ist mal sicher. Die Frau hatte Angst. Spinnerei oder nicht. Trotzdem lehnte sie eine Begleitung nach Hause ab. Ganz entschieden sogar. Sie wurde richtig wütend. Das hat mich gewundert.
Deswegen kann ich mich auch so gut daran erinnern."
Er schaute sie an, wie ein Hund der ein Kunststück vollbracht hat und jetzt eine Belohnung erwartet.
Rina schenkte ihm ihr süßestes Lächeln und sagte :
" Vielen Dank Officer, sie haben mir sehr geholfen. Jetzt möchte ich ihnen nicht länger die Zeit stehlen."
"Oh, das war mir ein Vergnügen, Miss. Ich mache nur noch schnell die Kopie."
Der außerordentlich nette Officer Bascerville brachte sie noch zur Tür und hielt ein Taxi für sie an. Als sie eingestiegen war, beugte sich der Polizist vor und fragte :" Äh, sagen sie, was ist eigentlich dieses NST, so `ne Art FBI ?"
"Northern State Traditional, eine sehr gute Versicherung. Ich dachte, das
wüsten sie, Sir Henry ", sagte sie grinsend und gab dem Fahrer das Zeichen zur Abfahrt.

"Ich sage dir, Pop, dieser Stadtteil geht vor die Hunde. "
Ma Allison sagte das mehr zu sich selbst. Sie war verbittert.
Als ihr seliger Vater in den dreißiger Jahren den kleinen Drugstore eröffnete, war Brooklyn auch nicht unbedingt die erste Adresse in New York gewesen. Aber es lebten noch anständige, arbeitsame Menschen hier. Jetzt gab es nur noch Abschaum. In den letzten vier Jahren, war sie elf Mal überfallen worden. Lange schon legte sie nur noch die ein und fünf Dollar Noten in die Kasse. Die größeren Beträge trug sie nur noch unter ihrer Schürze. Heute mittag waren mal wieder die Cops dagewesen.
Gleich um die Ecke, bei Gypsies Corner hatte irgend jemand einen Dealer und seine Partner in die Hölle geschickt. Ihrer Meinung nach, verdiente dieser Mann einen Orden. Außerdem hatten weder ihr Mann, noch sie etwas gesehen oder gehört. Und selbst wenn, in dieser Gegend lebte man weitaus gesünder, wenn man nichts sah. Sorry, Mr. Cop.
Während sie jetzt methodisch die Theke abwischte, dachte sie wieder einmal daran, den Laden aufzugeben. Aber das konnten sie sich beide nicht leisten. Der Laden erhielt sie am Leben, aber zum sparen, warf er nicht genug ab. Nur gut, daß Pop Elmo und sie keine Kinder hatten.
Es gab schon genug schwarze Kids, die entweder ihren Körper oder Rauschgift verkauften.
Als sie gerade das Putztuch unter der Theke verstaute, hörte sie die Türglocke, und das Licht, das von der Straße hereinfiel, verfinsterte sich.
Oh, süßer Jesus, dachte sie. Keinen Überfall. Nicht schon wieder.
Als sie wieder hochkam, sah sie vor sich einen riesigen Mann.
Sie hatte schon viele große Männer gesehen. Ihr Neffe spielte im College Basket - Ball und maß fast 1, 90 m. Aber neben dem hier, hätte er wie ein halbwüchsiger ausgesehen. Egal, sie war eine resolute Frau und groß war schließlich nicht gleich böse.
"Kann ich Ihnen helfen ?" fragte sie mit fester Stimme.
Der Gigant vor ihr senkte seinen Kopf. Das Gesicht war größtenteils von einem breitkrempigen Hut beschattet. Er trug einen langen Mantel, ähnlich einem Trenchcoat und eine altmodische Krawatte.
Mit einer sehr tiefen, aber überraschend sanften Stimme, sagte er :
"Ich brauche Aspirin oder ähnliches, bitte."
"Natürlich Sir. Zwanziger Pack, oder eine Familienpackung ?"
Er zögerte.
"Nun, ich brauche recht viel, verstehen sie? Wieviel haben sie denn?"
"Ha, wenn es sein muß, dann einen ganzen Karton" , scherzte sie.
"Das ist gut. Wieviel kostet der bitte ?"
"Äh, ja also im Einkauf 165 Dollar. Ich müßte ausrechnen wieviel... also mit Rabatt versteht sich..."
"Berechnen sie nur ruhig den Einzelpreis" , sagte der Mann ruhig.
Er hatte sich bis jetzt kein bißchen bewegt.
"Aber... also... das wären dann... 381 Dollar Sir."
"In Ordnung." Er griff innen in seinen Mantel und zählte von einem dicken Banknotenbündel vier Hunderter ab. Sie dachte, daß es sehr unvorsichtig war, mit soviel Geld in dieser Gegend herumzulaufen. Andererseits, war er nicht der Typ, der vorsichtig sein mußte.
"Wie sie wünschen." Sie bückte sich und hob mit einiger Mühe den Karton mit ihren ganzen Aspirin Vorräten auf die Theke.
Das bärtige Gesicht blieb ausdruckslos, während er auf sein Wechselgeld wartete. Dann klemmte er sich den Karton unter dem Arm, als wäre er leer, murmelte einen Abschiedsgruß und war verschwunden.
Sie wandte sich zu Pop um, der mit offenstehenden Mund in seinem Sessel hinter dem Tresen saß, und fragte : "Hast du den gesehen ?"
Mit abwesenden Gesichtsausdruck antwortete er : " Nein, gar nichts habe ich gesehen. Und du auch nicht. "
Dann stand er auf und schloß den Laden ab.
Ma Allison hatte nichts dagegen. Sie schrieb Aspirin auf die Bestelliste, löschte das Licht und folgte ihrem Mann nach oben.
Vielleicht fand sich ja ein Pächter.


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Es war noch viel zu früh für die Verabredung mit dem Anwalt.
Also beschloß sie den Nachmittag in der Wohnung zu verbringen.
Gehörte schließlich alles zum Job. Als erstes setzte sie sich Wasser auf.
Sie trank sehr viel Kaffee. Ihre einzige Sucht. Dann setzte sie sich in ihr gemütliches Sofa, legte die Beine hoch und nahm das Vernehmungsprotokoll zur Hand. Es waren eineinhalb Seiten, und sie enthielten absolut nichts, was sie weitergeholfen hätte. Den größten Teil, machten die Fragen der Polizisten aus. Was die Frau gesagt hatte war konfus und erinnerte an jemand, der gerade aus einem Alptraum aufgewacht war.
Aber da war etwas Alarmierendes an ihren Äußerungen :
Er war riesengroß und häßlich... und diese Augen... Er hatte ein sehr altes Messer !

Oder auch :

Er sagte, er müßte mich töten... wegen meinem Blut. Und wegen der Dekaden. Er war ein Monster ! Ich dachte erst, er wäre tot oder so...

Das war alles sehr seltsam. Entweder Gwendolyn Hart war völlig überspannt, oder sie hatte wirklich ein böses Erlebnis.
Beides nützte Rina wenig. Sie mußte sie schließlich nur finden.
Niemand hatte sie begleitet. Sie hatte keine Freunde. Ihre Wohnungsgenossin hatte sie nur selten gesehen. Sie war mehr mit ihren diversen Kerlen beschäftigt gewesen. Blieb also nur noch ihre Arbeitsstelle.
Sie merkte sich die Bibliothek vor. Vielleicht ließe sich dort auch etwas über Dermott selbst herausfinden. Von dem Geschändeten wußte sie nur, daß er Ungar und offenbar etwas exzentrisch war.
Der Kaffee war stark und heiß. Das tat gut. Selbst in dieser Affenhitze.
Es war 13 Uhr. Sie beschloß zu duschen und dann zur Bibliothek zu gehen. Nachdem sie geduscht hatte, fühlte sie sich wieder frisch und die Trägheit von vorhin, war verschwunden. Im Bademantel ging sie wieder zu ihren Schrank und suchte sich frische Wäsche aus.
Leichte Bluse, Rock, Pumps. Keine Strümpfe, zu warm. Nachdenklich ließ sie den Mantel zu Boden gleiten und begann sich anzukleiden.
Rina war ein erfreulicher Anblick. Schlank, sportlich, mit schmaler Taille und festem Busen.
Mit Rock und BH bekleidet, rubbelte sie ihr langes, braunes Haar trocken und überlegte, wie es weitergehen sollte. Es stand kaum zu erwarten, daß der Besuch in der Bibliothek sie auf der Spur der verschwundenen Nichte führen würde. Dann bliebe ihr nur noch der Anwalt.
Irgendwie war das ein Scheißauftrag. Aber verdammt, sie hatte ihn angenommen, also würde sie die Sache auch aufklären.
Sie fönte sich die Haare und rief ein Taxi an.


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In der New York Library war es angenehm kühl und sehr still.
Es war nicht sehr viel Betrieb so früh am Nachmittag. Sie ging zu dem großen, eichernen Schalter und erblickte dahinter eine verträumt aussehende alte Frau, die Bücher und Formulare hin - und herschob.
"Guten Tag, Ma´m. Mein Name ist Rina Warden und ich hätte einige Fragen über eine ihrer Mitarbeiterinnen."
"So so, aha, um was geht es denn, mein Kind ?"
"Um Miss Gwendolyn Hart. Ich arbeite für eine Versicherungsgesellschaft und muß Miss Hart wegen einer Erbschaftsangelegenheit sprechen."
"Oh, aha. Ja, die junge Miss Gwendolyn. Das war ein nettes Mädchen.
Sie mochte ihre Arbeit und flirtete nicht ständig mit den Studenten herum, wie manch andere junge Dame hier."
"Tja, nun ist sie ja leider verschwunden und..."
"Ja, das tat mir sehr leid, daß sie gegangen ist. So ohne ein Wort.
Ich dachte erst, sie wäre krank, bis dann die Kündigung kam."
"Moment mal, sagten sie eben, sie hat gekündigt ?"
"Aber ja. Gestern kam die schriftliche Kündigung. Ich habe eine Kopie davon gleich zur Polizei geschickt, weil sie ja noch als vermißt galt."
Das wurde ja immer verworrener. Andererseits hieß das, daß die Gesuchte noch lebte.
"Dürfte ich die Kündigung bitte mal sehen ?"
"Natürlich, einen Augenblick !"
Eine formlose, schriftliche Kündigung. Mit Verzicht auf Restgehalt.
Völlig korrekt. Abgestempelt in... - Scheiße !
Der Poststempel war aus Harfort, Connecticut.
Verdammt, das sah wirklich nach einer Dienstreise aus. Nun ja, sie hatte freie Hand, und Perry hatte ja schon angedeutet, daß es sich vermutlich nicht in ein, zwei Tagen klären ließ. Aber zuerst wollte sie schon ein wenig mehr herausfinden.
"Sagen Sie Mrs. ..."
"Gradle ist mein Name."
"Ah ja. Also Mrs. Gradle. Das mag sich für sie etwas komisch anhören, aber... glauben sie, daß Miss Hart möglicherweise Feinde hatte ?"
"Mein liebes Kind", sagte die alte Frau, und sortierte dabei mit flinken Fingern Karteikarten.
"Meiner Meinung nach, hatte sie nicht einmal Freunde. Sehen Sie, die junge Miss Gwendolyn war das klassische Beispiel für den Begriff : graue Maus. Oh, sie ist nicht häßlich oder dergleichen. Einfach nur scheu, und na ja, unscheinbar. Aber sie schien nicht, als würde sie darunter leiden. Sie war auf ihre stille Art, immer vergnügt. Sie liebte die Bücher und während ihrer Arbeit, machte sie alles in allem gesehen, keinen unglück -lichen Eindruck. Absolut nicht."
Während sie sprach, nestelte sie unablässig mit irgendwelchen Zetteln herum, was Rina nicht unbedingt ruhiger machte.
"Wie stand sie denn zu ihrem Großonkel, wissen sie das zufällig ?"
Mrs. Gradle unterbrach ihre Arbeit, und schaute Rina verdutzt an.
"Ich wußte gar nicht, daß sie überhaupt Verwandte hatte. - Hier in New York ?"
"Aber ja. Hier in Manhattan, 118. Straße, Ecke Riverside Drive.
Karel Dmertnov war sein Name, ein Ungar. Hier in den Staaten, hatte er seinen Namen in Karel Dermott geändert. Er war ziemlich wohlhabend und sein ganzes Vermögen fällt jetzt seiner einzig lebenden Verwandten zu. Und das ist Miss Hart."
"Aber er ist doch schon vor zwanzig Jahren gestorben" warf Mrs Gradle ein.
"Das ist richtig, aber... " Rina stutzte.
"Moment Mal. Woher wissen sie das ? Haben Sie ihn etwa gekannt ?"
"Allerdings kannte ich ihn. Und ich hätte nie geglaubt, daß so ein nettes Mädchen mit einem solchen... Subjekt verwandt sein könnte."
Die alte Frau sagte das in einem forschen Ton und ein Ausdruck von Unbehagen, ja Abscheu, war auf ihr faltiges Gesicht getreten.
"Oh ja, ich kannte ihn. Obwohl ich ihn nur einmal persönlich begegnete,
und das war alles andere als angenehm. Das kann ich ihnen sagen.
Über diesen Mann, kann ich ihnen einiges erzählen. allerdings nicht sehr viel gutes, wie ich befürchte. Das einzig Positive, was ich über ihn weiß, ist, daß er jahrelang einer unserer besten Kunden war. Wenn auch ein etwas seltsamer."
Rina war jetzt wirklich verwirrt. Aber ebenso gespannt darauf, was diese auskunftsfreudige, alte Dame ihr noch alles erzählen würde.
"Mr. Dermott hat hier also Bücher entliehen, ja ? Wissen Sie, ich hatte nämlich vor, in den alten Zeitungen zu stöbern, um etwas über diesen Mann zu erfahren. Die Klauseln in seinem Vertrag waren etwas... nun ja, bizarr."
"Oh, das kann ich mir lebhaft vorstellen" ereiferte sich die alte Dame.
"Alles an diesem Kerl war irgendwie bizarr. In den Zeitungen werden Sie allerdings nichts über ihn finden. Er lebte sehr zurückgezogen und haßte jede Art von Aufmerksamkeit. Ich glaube, er haßte die Menschen im Allgemeinen. Er kam auch nie selbst hierher, sondern schickte immer einen Angestellten. Wir suchten die Bücher heraus, häufig mußten wie sie
erst bestellen, und sein Diener oder Chauffeur, oder was immer er auch war, holte sie dann ab. So ein bis zwei Mal im Monat. Dieser Diener war auch so eine unangenehme Erscheinung. Er war groß, so um die 2 Meter schätze ich, hatte tiefliegende Augen, helles Blau und er hatte ständig gelächelt, ohne dabei einen anzusehen, Das konnte mich ganz verrückt machen, sage ich Ihnen."
"Das ist verständlich Was waren das denn für Bücher, die er so
auslieh ? Oder dürfen Sie das nicht sagen?"
"Ich bitte Sie, junge Frau. Der Mann ist doch tot - oder ? Außerdem steht in meinen Vertrag nichts von einer Schweigepflicht. Das waren fast ausnahmslos historische und okkulte oder esoterische Bücher. Viele davon, waren Apokryphen, Sie wissen schon, das sind Bücher, die in früherer Zeit von Kirche oder Staat verboten waren. Solche Werke sind nicht einfach zu beschaffen. Einige mußten wir sogar in Europa bestellen."
"Sie sagten vorhin, sie hätten Mr. Dermott einmal persönlich getroffen..."
"Oh ja, das war auch so eine Sache für sich. Wir hatten damals wieder eine Lieferung für Dermott zusammengestellt, als er anrief und sagte , daß Mr. Prell, das war der Diener, verhindert sei, und ob wir ihm die Bücher vorbeischicken könnten. Ich habe damals in der Gegend gewohnt, und sagte ihm, daß ich die Bücher vorbeibringen werde.
Es war kein großer Umweg für mich und ich war ein bißchen neugierig, wenn sie verstehen. Also bin ich nach der Arbeit dort hingegangen.
Ganz schön gruselig, waren Sie mal da ?"
Rina verneinte.
"Ein düsterer, alter Kasten mit Blick auf den Park.. Als ich klingelte, öffnete sich die Tür so schnell, als hätte er dahintergestanden.
Er öffnete selbst. Ein verhutzelter, kleiner Kerl, so Mitte sechzig.
Ich gab ihm die Bücher, sagte ihm, wie es mich freuen würde, ihn kennenzulernen undsoweiter. Aber er machte einfach die Türe zu, und ließ mich stehen. Offenbar war er der Meinung seine jährlichen Spenden an die Bibliothek, wären der Höflichkeit genug. Wirklich ein sonderbarer Mensch."
"Ist Ihnen bei dem Zusammentreffen sonst etwas aufgefallen ?"
"Nein. Eigentlich nicht. Außer vielleicht, daß er es wohl gerne dunkel hatte.
Mit Ausnahme einer schummrigen Türbeleuchtung, war im ganzen Haus
kein Licht zu sehen. Der Flur hinter ihm war dunkel wie ein Tunnel."
"Nun, dann danke ich ihnen vielmals. Vielleicht schaue ich in den nächsten Tagen noch einmal herein."
"Nur zu, mein Kind. Auf Wiedersehen !"
Damit wandte sie sich wieder ihren Karten zu.
Und Rina war jetzt wirklich gespannt auf ihr Gespräch mit dem Anwalt.


Horace Bimmel war ein mürrischer Mann. Das hatte seinen Grund.
Er war seit 16 Jahren bei der Mordkommission und bei diesem Job ist es auf die Dauer schwierig, seine gute Laune zu behalten. Er hatte eine Frau, eine Tochter, ein kleines Haus und einen Zweitwagen. Schön und gut.
Aber die meisten Leute, die sich über seine Launen wunderten, verstanden nicht., daß er für diesen bescheidenen Luxus 16 Jahre knöcheltief in Blut und Trauer waten mußte. Er hatte viele geschnappt. Angefangen von eifersüchtigen Frauen, denen die Nerven durchgegangen waren, bis hin zu professionellen Killern, mit Spaß am Beruf.
Aber was sich jetzt abzeichnete, sah wirklich übel aus.
Bei 90 % der Morde in einer Großstadt, war es eigentlich nur für das Opfer wirklich schlimm. Man fand den Mörder und sperrte ihn ein - oder auch nicht. Das Leben in der Stadt ging weiter.
Selbst in der unmittelbaren Nachbarschaft war selten eine Veränderung festzustellen. So war die Großstadt : Ein Moloch der die Kinder frißt.
Aber das hier konnte wirklich unangenehm werden. Irgend jemand in dieser Stadt, tötete Dealer. Nicht irgendwelche kleinen Junkies, die sich durch den Drogenverkauf die eigene Dosis finanzierten. Oh nein, hier ging es um Leute mit großen Autos, großen Kanonen und großen Scheinen. Hier killte jemand Großdealer. Und wenn jemand Großdealer killte, dann waren das meistens andere Großdealer oder Organisationen die hinter ihnen standen.
Horace mochte sich gar nicht vorstellen, was dieser Stadt blühte, wenn die Italiener sich mit Chinesen anlegten. Oder mit den Chikanos, oder jeder mit jedem. Scheiße, das würde ein richtiges Gemetzel geben.
Die Tür öffnete sich und Pete Weber kam herein. Detective Weber war ohne Zweifel ein hervorragender Polizist, aber er war schwierig.
Was ihn von den anderen Kollegen abhob, waren seine Respektlosigkeit und sein absolut fehlendes Gefühl für Takt und Diplomatie.
Pete sagte, was er dachte. Immer und jedem gegenüber. Das hatte ihn in dieser scheinheiligen Welt schon oft in Schwierigkeiten gebracht.
Wie in dem Fall des Industriellensohnes, der nach einer Party ein Mädchen vergewaltigen wollte, das ihn aber dann vor ein fahrendes Auto geschubst hatte. Pete war dabei, als die Eltern benachrichtigt wurden.
Sein Kollege sagte der Mutter mit ernstem Gesicht, ihr Sohn hätte ein Unfall gehabt. Auf ihre Frage hin, ob es etwas ernstes sei, antwortete Pete völlig sachlich, das könnte man getrost so bezeichnen, denn ihr sauberes Früchtchen wäre tot, wie ein Haufen Hundescheiße.
Zu seiner Verteidigung sagte er später, er könne nun einmal Leute nicht ausstehen, die sich Frauen gegenüber schlecht benahmen.
Nur weil er in seinen Job so erfolgreich war, blieb ihm der Streifenwagen erspart. Ja, er hatte seine Fehler. Aber als Polizist und Partner konnte man sich 100 % auf ihn verlassen. In diesem Fall jedenfalls war Horace froh, das er jemanden wie Pete hatte.
Pete ließ sich in seinen Sessel gegenüber von Bimmels Schreibtisch fallen und legte sein Jackett über die Lehne.
Die beiden verschwitzten, hemdsärmeligen Männer saßen sich ein Weile schweigend gegenüber. Der Ältere am Schreibtisch, untersetzt, müde, mit wirrem, blonden Haar, das sich am Wirbel schon sichtbar lichtete.
Der jüngere in seinen Sessel gelümmelt, groß, kräftig, auch müde aber mit wachsamen Augen. Schließlich seufzte Horace und brach das Schweigen.
"Also Pete. Was haben wir ?"
"Ärger" sagte der junge Mann. " Einen Haufen Ärger."
"Da sagst du mir eigentlich nichts neues. Aber das hatte ich eigentlich nicht gemeint. Wir haben fünf tote Dealer und sechs ebenso tote Leib -wächter. Zwei Fälle in Brooklyn, einer in Manhattan. Sie wurden gekillt und beraubt , wobei es höchstwahrscheinlich jedesmal um einen Haufen Geld und den entsprechenden Gegenwert in Dope ging.
Bis auf den Fall in Manhattan. Der hatte den Deal schon abgeschlossen und wurde auf der Herrentoilette erwischt. Es waren allesamt polizeibekannte schwere Jungs. Ich bin der letzte, den es um sie leid tun würde.
Aber es geht nicht an, daß hier einer herumläuft, und unsere Kunden abserviert. Wo kommen wir denn hin ?"
Er sagte es mit ehrlicher Entrüstung, und Pete Weber mußte grinsen.
Pete wurde jedoch gleich wieder ernst und sagte :
"Was mich an diese Sache am meisten stört, sind zwei Dinge.
Erstens die Tatsache, daß diese roten Ratten nachweisbar nicht das Geringste miteinander zu tun hatten. Und zweitens, die Art, wie sie umgekommen sind. "
Bimmel musterte seinen Kollegen argwöhnisch.
"Was meinst du damit, du verdammter Querdenker ?"
"Ach komm schon, Horace. Erzähl mir nicht,, daß du noch nicht selbst darauf gekommen bist. Wir haben elf Leichen allesamt Berufsverbrecher und das nicht seit gestern. Nur zwei von ihnen wurden erschossen.
Der Rest wurde schlicht und einfach erschlagen oder sonstwie schnell und sauber, auf jeden Fall aber von der Hand erledigt. Großer Gott, zwei von ihnen, wurde der Kragen umgedreht, wie bei einem Suppenhuhn.
Und einer davon wog zweihundert Pfund. Kannst du mir erklären, wie das bewerkstelligt wurde?"
"Scheiße, nein. Das kann ich nicht. Sehe ich aus, wie Philipp Marlowe ?
Ich kann dich höchstens warnen, irgendwelche wilden Theorien aufzustellen. Glaub mir, es ist besser zu sagen : Ich weiß es nicht, als das
du sagst, es wäre Dracula gewesen. Selbst wenn der seine Karte hinterlassen hätte.
"Ok, ich verstehe, was du meinst" , sagte der junge Detektive.
"Wahrscheinlich denkst du an die Geschichte mit dem Löwenmenschen."
"Ja. genau mein Junge. Und sowas möchte ich uns ersparen."
Horace konnte sich gut an die Geschichte erinnern, die vor sechs Jahren die Polizei im Allgemeinen - und den ermittelnden Leutnant im ganz besonderen - blamiert hatte. Es ging damals um eine Reihe mysteriöser Morde, die den Verletzungen nach, offenbar von einem Löwen verübt wurden. Der damals zuständige Leutnant ließ sich mit Okkultisten ein und in der Öffentlichkeit ging das Gerücht von einem schrecklichen Löwenmenschen um. Der Täter wurde schließlich gefaßt.
Es handelte sich um einen zweiundvierzig jährigen, mittelgroßen Psychopathen. Schreiner von Beruf.
Er hatte sich ganz einfach mit einigen Nägeln und einer Holzlatte eine künstliche Löwenkralle und ein maulähnliches Instrument gebastelt.
Kein Löwe, kein Monster. Nur ein frustrierter Irrer, der diese Idee noch dazu aus einer Shelock Holmes Geschichte geklaut hatte. Die ganze Stadt hatte über die Polizei gelacht. Über den Verbleib des besagten Leutnants, ist nichts weiter bekannt. Vermutlich regelt er jetzt irgendwo nördlich von Anchorage den Verkehr. So eine Sache war für einen Polizisten absolut tödlich. Beide Männer waren schon lange genug dabei und auch klug genug, diesbezüglich vorsichtig zu sein.
"Ich weiß Bescheid, Horace. Aber ich denke, wir sollten offen miteinander reden. Das müssen wir sogar, wenn wir weiterkommen wollen. Ganz egal, was für haarsträubende Dinge wir uns jetzt ausdenken. Es muß ja schließlich niemand davon hören - oder ?"
"Du hast verdammt recht, Pete. Und dafür hasse ich dich."
Andere wären jetzt vorsichtig geworden. Wenn der Vorgesetzte so unschöne Dinge sagte, konnte das Nachteile haben. Nicht so Pete Weber. Er lächelte nur. Das Verhältnis zwischen ihm und Bimmel war absolut klar. Sie waren keine Freunde aber sie respektierten einander und schätzten die Meinung des anderen.
"Ok. Was denkst du."
"Oh nein, Horace. Als mein Vorgesetzter steht dir zu, deine Theorie als erster loszuwerden."
"Arschloch."
"Ich weiß."
"In Ordnung. Machen wir es wie beim pokern. Wechselseitig."
"Soll mir recht sein. Du fängst an."
Die Angst des Chefs ausgelacht zu werden, amüsierte den jungen Beamten.
"Na du Grünschnabel, was hältst du davon. Es waren mehrere Killer. Gelernte Schläger, so wie bei den Ninja - Freaks bei den Yakuza in Fresko. Blitzschnell und tödlich, Peng - Bumm !"
"Bullshit, Peng Bumm" kam die lakonische Antwort.
"Scheiße, das denke ich auch."
"Nein Horace. Die Verletzungen schließen nicht auf Meuchelmord oder Kampfsport. Zu unpräzise, unsauber. Es erinnert eher an eine ausgeartete Schlägerei. Das war nicht die Kunst des Tötens, man. Das war brutale Gewalt."
"Na großartig. Das bringt uns weiter. Es war nicht Bruce Lee, sondern King Kong."
"Meinst du nicht ?"
"Doch Pete, ich denke genauso."
"Bandenkrieg fällt auch flach. Die hätten Schußwaffen benutzt.
Außerdem hätten sie nach den letzten Morden längst reagiert.
Weber war jetzt aufgeregt. Bimmel hingegen resigniert.
"Ich gäbe meine halbe Pension, wenn mir jemand diesen Scheißfall abnehmen würde."
"Das wird aber niemand tun, Horace. Wir haben den Manhattanfall nur gekriegt, weil Ähnlichkeiten bestehen. Und wir sind es, die das Ding knacken müssen."
"Ich weiß, mein Junge, ich weiß. Ich überlege nur gerade, wie groß und gefährlich jemand sein muß, um elf ausgebildeten, bewaffneten Leibwächtern und Berufskillern das Licht auszublasen, als würde er nur ein paar Katzen killen."
Pete wischte sich den Schweiß ab.
"Verdammt groß und verdammt gefährlich !", antwortete er.


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Rina hatte von der Bibliothek aus zunächst einmal die nächste Telefonzelle ausgesucht. Sie hatte per Fernabfrage ihren Anrufbeantworter abgehört. Wirklich praktisch.
Man gab ein paar Pieper in den Hörer und schon hörte man, wer alles angerufen hatte. Ein Wunder der Technik.
Es war nur ein Anruf. Aber der verwirrte ihre ohnehin arg beanspruchten Gedanken noch mehr. Es war Perry Cure :
- Hören Sie, Miss Warden. Ich weiß, daß sie noch nicht viel Zeit hatten etwas herauszufinden, aber ich habe neue Post bekommen.
Eine Erbschaft - Verzichterklärung von unserer Miss Hart. Sie verzichtet auf 3, 5 Millionen Dollar und wir sollen sofort sämtliche Nach -forschungen sofort einstellen. Na, ist das nicht ein Hammer ?
Aber bitte bleiben sie einstweilen am Ball, und rufen sie mich so bald wie möglich an. Ach ja, abgestempelt ist der Brief gestern in Chelsa.
Falls ihnen das weiterhilft. Bis bald. -
Das war alles. Aber es reichte.
Langsam aber sicher festigte sich in ihr der Verdacht, daß hinter der Sache noch weit mehr steckte, als ein exzentrischer posthum geschändeter Klient. Möglicherweise mehr, als sie bewältigen konnte.
Aber das mußte warten. Sie hatte einen Termin beim Anwalt.
Es dauerte eine Weile, bis sie ein freies Taxi erwischen konnte.
Inzwischen dachte sie überhaupt nicht mehr an die Spesenrechnung.
Nun hatte sie es fast eilig. Als der Wagen endlich vor einem alten Wolkenkratzer in Manhattan - wo sonst - hielt, hatte sie noch zwei Minuten. Eigentlich ausreichend, aber sie war einer jener übervorsichtigen Menschen, die Iieber ein paar Minuten warteten, anstatt sich zu verspäten. Sie eilte in die Halle und sah sich einem riesigen Schwarzen gegenüber, der in seiner rotgoldenen Uniform fast ein bißchen lächerlich aussah.
"Oh verzeihen Sie Sir... Ich bin mit Mr. Straker von Straker und Barlow verabredet."
"Schon in Ordnung Miss. Ich weiß Bescheid" , antwortete der Hüne mit einer überraschend hohen Stimme.
"Nehmen Sie den ganz rechten Aufzug, der geht direkt in die Kanzlei"
"Danke."
Als Rina auf den Aufzug zueilte, folgte ihr der Portier in gemächlichem Tempo. Die Türen schlossen sich, und der Lift begann mit beruhigender Geschwindigkeit nach oben zu gleiten.
Rina konnte nicht mehr sehen, wie der massige Neger sich vor eben dieser Lifttüre aufbaute und wachsam in alle Richtungen blickte.


Nach einer überraschend kurzen Fahrt, bremste der Lift in einer Art , die
sie in die Knie gingen ließ.
Als die Türen sich öffneten, sah sie sich in einer geschmackvollen, aber ziemlich sterilen Umgebung.
Kaum daß sie aus dem Lift getreten war, öffnete sich die gegenüberliegende Tür und eine junge Frau bat sie einzutreten.
"Mr Straker erwartet Sie bereits. - Bitte ! "
Rina fragte sich, ob das dieselbe arrogante Sekretärin war, mit der sie telefoniert hatte. Dann ging sie durch zwei gigantische Flügeltüren in ein ziemlich bescheidenes Büro.
Beherrscht von überladenen Regalen und einem sehr großen Schreibtisch, sah sie sich einem älteren, gepflegten Herren gegenüber, der ihr einen einfachen, aber ohne Zweifel, teuren Sessel anbot.
Sie setzte sich.
"Guten Tag, Miss Warden. Ich freue mich, daß Sie kommen konnten."
Er hatte eine angenehme, geschulte Stimme.
"Offengestanden, bin ich froh, daß Sie es überhaupt geschafft haben,
zu kommen."
Irgend etwas sagte Rina, daß sich diese Bemerkung auf ihren Termin -kalender bezog.
"Tut mir leid, aber ich verstehe nicht ganz, wie sie das meinen."
"Verzeihen Sie. Natürlich können sie das nicht verstehen. Aber ich werde versuchen, es ihnen zu erklären. Möchten Sie vielleicht etwas trinken ?
Es ist furchtbar heiß heute. Ich persönlich, habe jetzt Teezeit. Eine Hommage an meine englischen Vorfahren."
"Danke, ich glaube, ich hätte auch gern einen Tee."
"Sie sind ein Mädchen nach meinen Geschmack."
Er betätigte einen Schalter an der Gegensprechanlage, die aussah wie das Kontrollpult eines Raumschiffes, und bestellte Tee mit zwei Tassen.
"Ich bevorzuge Darjeeling. Ein wunderbares Aroma, wenn man versteht ihn zuzubereiten. Nun Miss Warden, zunächst wüßte ich gern, ob sie Zeit mitgebracht haben. Denn ich befürchte, unsere Unterhaltung kann ein wenig länger dauern."
"Ich habe Zeit, Mr. Straker. Sie sind mein letzter Termin heute.
Alles andere habe ich heute nachmittag erledigt. Ich muß sagen, daß dieser Fall immer verwirrender wird."
Der Anwalt lächelte und fuhr sich durch sein üppiges, silbernes Haar.
"Das überrascht mich nicht im geringsten", sagte er und nahm ihr gegenüber Platz.
"Sehen Sie, Mr. Carl Dermott war schon immer ein etwas seltsamer Kunde. Aber nachdem er gestorben war, begann auch ich ihn zu vergessen, wenn auch nur langsam. Bis ich von der Polizei die Nachricht von der Leichenschändung erfuhr. Obwohl es für mich eher eine Formsache war, sagte mir mein Instinkt, daß das nichts gutes bedeutete. Wenn man so alt ist wie ich, lernt man, sich auf seinen Instinkt zu verlassen."
Sein Tonfall war jetzt sehr ernst, beinahe streng geworden.
"Das Mr. Dermott ein wenig exzentrisch war, habe ich schon in der Bibliothek gehört. Und der Versicherungsvertrag, weswegen ich mich überhaupt bemühen muß, spricht auch dafür."
"Oh ja. Er war schon ein verrückter, alter Bastard. Bitte verzeihen Sie.
Sie dürfen nicht denken, daß ich über alle meine Klienten so rede.
Wenn Sie ihn gekannt hätten, würden sie mich verstehen. Als sein Anwalt, wußte ich natürlich von seinem Vertrag, und um ihre Frage vorweg zu nehmen, ich habe nicht versucht ihn davon abzubringen. Ganz einfach deshalb, weil man diesen Mann einfach von nichts abringen konnte, was er sich einmal vorgenommen hatte. Wissen Sie, er mochte mich nicht.
Er mochte niemand. Aber er respektierte mich bis zu einem gewissen Maße. Und das war schon mehr, als er den meisten anderen entgegenbrachte. Ich habe in meinen ganzen Leben noch nie so einen egoistischen und menschenfeindlichen Kerl wie ihn erlebt.
Was wissen Sie bis jetzt über Karel Dmertnov ?"
Rina berichtete ihm, was sie in der Bibliothek von der umgänglichen
Mrs, Gradle erfahren hatte.
"Ja, das paßt gut zu dem alten Mann."
Die Tür wurde geöffnet und der Tee wurde serviert. Die Sekretärin bedachte Rina mit einem unfreundlichen Blick. Es war wohl tatsächlich die, mit der sie telefoniert hatte. Und offenbar, hatte sie darauf, einen Rüffel erhalten. Rina lächelte honigsüß zurück.
Bis die Tippse wieder draußen war, goß der Anwalt schweigend Tee ein.
Dann zog er sein Jackett aus und warf es achtlos über den Computer.
"Entschuldigen Sie, wenn ich es mir ein wenig bequemer mache.
Sie ahnen ja nicht, was es heißt, bei vierzig Grad im Schatten immer distinguiert zu wirken. Es ist eine Pest."
Rina mochte den Mann instinktiv. Er vermittelte ein Gefühl von Ehrlichkeit.
Er war geradeherausgesagt ein Mann, den man gern zum Freund hatte.
Und selbst mit seinen über sechzig Jahren, war er eine noch sehr stattliche Erscheinung. Auch wenn er im Moment sehr müde wirkte.
"Als ich anfing für diesen Mann zu arbeiten, hatte ich viele Schulden und den festen Willen mich zu etablieren. Dermott war ein guter Kunde.
Er übertrug mir sämtliche Angelegenheiten und half mir so, meine Kanzlei aufzubauen. Von Anfang an war mir klar, daß er nicht normal war, aber ich war froh beschäftigt zu sein und kümmerte mich einfach nicht darum.
Warum auch ? Er tat niemanden etwas zuleide. Im Gegenteil.
Er hatte Angst. Seit ich ihn kannte - wie ich später sogar erfuhr, seit er in den Staaten war - , hatte er Angst. Zunächst tat ich das als Paranoia eines alten Spinners ab. Ich hörte ihn oft reden, daß Sie ihn nie erwischen würden. Er sprach in diesen Zusammenhang immer von IHNEN ohne jemals zu erklären, wen er damit meinte. Aber nach bestimmten Vorkommnissen, war ich mir da nicht mehr so sicher. Ich sage es gleich. Nichts davon läßt sich beweisen. Es waren nur einige ungeklärte Unglücksfälle. Unglücksfälle, über die ich nach der letzten Woche wieder nachzudenken begann. Und inzwischen bin ich mir ziemlich sicher - und das dürfen Sie getrost als Warnung verstehen - , daß er wirklich verfolgt wurde."
Der geschulte Anwalt, ließ seine Worte wirken, und sah Rina durchdringend an.
"Ja, aber von wem, Mr. Straker ?"
"Eine gute Frage, mein Kind. Aber ich habe nicht die blasseste Ahnung.
Ich kann mich nur an eine Begebenheit erinnern, als ich gerade bei ihm war und sein Butler Ausgang hatte. Da war ein junger Mann vor der Tür. Ein ehemaliger Strafgefangener, der Zeitungsabos verkaufen wollte.
Als Dermott ihn sah, wurde er fast hysterisch. Dabei war an dem Mann nichts ungewöhnliches. Lederjacke, Jeans, Ohrringe. Wie diese Typen halt so aussehen. Das ist das einzig außergewöhnliche, was mir einfällt.
Immer unter der Prämisse, so daß an Mr. Dermott nicht ungewöhnliches war."
"Was ist mit der Nichte, die ich suche... ?"
"Bis auf einmal, hatte er sie nicht erwähnt. Eben nur beim Testament und bei der Versicherungsangelegenheit. Da kann ich ihnen auch nicht weiter -helfen."
"Apropos Testament. Wem hat er sein ganzes Vermögen hinterlassen ?" fragte Rina.
"Ausschließlich wohltätigen Organisationen. Von der Heilsarmee bis zum Zoo, haben alle etwas bekommen. Soviel war es übrigens gar nicht.
Ein paar Hunderttausend Dollar. Die lassen sich gut verteilen.
"Und das Haus ?"
"Das ist etwas anderes. Das Haus hat er seinen Diener vererbt.
Dieser war damals unauffindbar. Also erwartet man, wie sie es die Gesetze verlangen, vier Jahre und versteigert es dann. "
"Mit dem ganzen Inhalt ? Ich meine, ist das Haus noch voll eingerichtet ?"
"Ja, das ist es, junge Frau. Und wenn Sie, wie ich annehme, dort hinein möchten, gebe ich ihnen gern die Schlüssel. Aber nur wenn sie mich mitnehmen."
"Sie wüßten auch gern, was hinter all dem steckt, nicht wahr ?"
"Allerdings junge Frau. Jetzt endlich will ich wissen, wer oder was Karel Dmertnov war."


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Das Unangenehme an gekachelte Böden war, daß es fast unmöglich ist, leise darauf zu laufen. Es war 19 Uhr, und um diese Uhrzeit war nur wenig los, in diesem Teil des Leichenschauhauses. Pete Webers Schicht war längst zu Ende und Bimmel war längst Zuhause bei seiner Familie.
Aber eine von Petes herausragendsten Eigenschaften war, seine fast schon magische Beharrlichkeit. Es gab niemanden, der auf ihn wartete, aber es gab einiges an diesem Fall, was ihn beschäftigte.
Deswegen war er hier.
Er wollte seine einzigen Zeugen befragen. Seine elf toten Zeugen.
Seine Schritte hallten laut in dem menschenleeren Gang.
Es war irrational, aber er wäre gern geschlichen. Es gefiel ihm nicht, in einem Hort der Toten, solchen Lärm zu machen. Andererseits konnte er wohl kaum die Schuhe ausziehen.
Wenn ein Pathologe auf dem Gang käme, hätte er sicherlich wenig Verständnis für den Beamten der Mordkommission, der auf Socken durch das Leichenschauhaus schlich. Noch dazu in der Freizeit.
Weber verbannte diesen Gedanken und begann leise das Thema von Peter Gunn vor sich hinzupfeifen. Das half.
Als er das pathologische Labor Nr. 13 erreichte, fragte er sich wohl zum hundertsten Mal, wie man hier arbeiten konnte. Freiwillig, über Jahre hinweg. Früher war hier einmal alles weiß gewesen. Daraus war jetzt ein schmutziges gelb - grau geworden. Der wohl deprimierendste Farbton überhaupt. Milt war nicht da. Na großartig. Das bedeutete, daß er sich mit einen seiner Kunden beschäftigte.
Aufschnitt machen.
So bezeichnete der Pathologe Milton Giller das.
Weber atmete noch einmal tief durch und öffnete dann die Tür mit der gesprungenen Milchglasscheibe.
Der Raum dahinter war sehr groß. Sechs Stahltische unter grellen Scheinwerfern und viele jener sympathischer Schubfächer.
Die Bewohner dieser Schubfächer wurden im Fachjargon liebevoll :
Jack in the Box genannt.
Der Mann, der am zweiten Tisch arbeitete, blickte auf.
Milton Giller war ein Schwarzer, Anfang vierzig, der aber viel jünger wirkte.
"Mr. Pete Weber ! Nein ! Sowas ! " Er sagte es, als stände er plötzlich seinen totgeglaubten Erbonkel gegenüber.
"Welch ein Glanz, in meiner Hütte ! Was können wir für sie tun. Ich und meine kühlen Gesellen ?"
"Hi, Milt. Wie läuft es ?"
"Immer durch die Rinne und dann in den Eimer. Dafür steht er ja da."
Das war typisch Giller. Er scherzte gern. Auch zu den unmöglichsten Zeiten. Pete mochte ihn. Außerdem war er auf seinem Gebiet außerordentlich tüchtig.
"Wenn nur alles so einfach wäre. Sag mal, du hast doch die toten Dealer und ihre Gorillas auseinandergenommen - oder ?"
"Nur die aus Brooklyn. Du weißt ja, daß das leidige Zuständigkeitsproblem mir oft die besten Schnitzel vom Tisch zieht, Hihi. Meinen Bericht darüber habt Ihr doch bekommen."
"Klar haben wir ihn bekommen und er war in Ordnung, wie immer.
Aber das war ein Bericht, und damit offiziell. Jetzt interessiert mich deine inoffizielle Meinung. Versteh mich nicht falsch. Es ist nur so, daß ich nicht weiter weiß und mit jemanden darüber reden will, verstehst du ?"
"Aber ja doch. Setz dich und schütte dein Herz aus. Onkel Tom hört zu."
Der Arzt zog die Gummihandschuhe aus, setzte sich auf einen der Tische und begann umständlich seine Brille zu putzen.
"Jetzt mal im ernst, Pete. Irgendeine Idee?"
"Nein. Nur ein ungutes Gefühl. Aber wir wollen nicht rübergehen ?"
"Nein, ich denke wir bleiben hier. Ich zeige dir später auch warum."
Weber begann zu erzählen, wie weit Bimmel und er gekommen waren.
( Inoffiziell ).
Als er endete, legte der Pathologe die Stirn in Falten und sagte langsam :
"Du meinst also, wir haben es hier mit einem... einem Geheimnis
zu tun ?" Weber blickte ihn trotzig an.
"Ja, verdammt noch mal. Warum denn nicht? Ein Ermittler zu sein, schließt ein bißchen Phantasie doch nicht aus - oder ?"
"Ho, Bronko, ganz ruhig. Ich bin ja deiner Meinung."
"Ach zum Teufel, was soll das denn, nur weil man nicht... Moment mal, was hast du da eben gesagt ?"
Der Leichenbeschauer grinste und winkte den Detective mit Verschwörermiene zu Tisch Nr. 2 hinüber. Theatralisch riß er das Tuch von der Leiche und sagte mit Jonny Carsons Stimme : "Darf ich vorstellen, Mr. Joseph Picker ."
Aus den Akten wußte Weber, daß dieser Mann als fingerbrechender Geldeintreiber anfing, und als Bodyguard und gelegentlicher Killer endete.
Für einen Mann dieses Berufes, hatte der gute Joseph ein sehr feingeschnittenes Gesicht und einen Körper, wie ein Preisboxer. Zum Glück war die Leiche schon für den Abtransport fertiggemacht. Deutlich hob sich der Y - förmige Einschnitt des Pathologen von der blassen Haut ab.
Auch der Hals war verfärbt, aber sonst waren keine äußerlichen Wunden erkennbar.
"Die Akte dieses Scheißkerls, kennst du vermutlich besser als ich.
Daher beschränke ich mich nur auf das, was du vielleicht noch nicht weißt.
Gewicht : 221 Pfund, Größe : 197 cm. , Todesursache : Genickbruch.
Das ist also das offizielle."
Weber selbst, war mit seinen durchtrainierten 1, 89 m ein großer Mann. Aber Joseph Picker machte selbst im Tode noch den Eindruck, als könnte er ihn ohne Probleme durch das Fenster knacken, wie es ein guter Freund ausgedrückt hätte.
"Ok. Und das inoffizielle ?"
"Das wäre folgendes, mein Freund. Ich habe die Todesursache Genick -bruch angegeben. Das ist auch faktisch richtig. Ich habe nichts anderes angegeben, weil die Kollegen dann gesagt hätten, ich wäre schon zulange in diesem Job. Aber als der Papierkram erledigt war, habe ich diesen Kunden noch mal hergebeten. Nenn es Neugier, oder Berufsethik.
Ich wollte einfach sicher sein."
"Mach’s nicht so spannend. Was hast du herausgefunden ? Einschüsse aus einer Laserpistole ?"
"Hey Mann ! Witze reißen ist mein Job. Was hältst du von Dimple ?"
"Kann ich mir nicht leisten."
"Ich auch nicht, Klugscheißer. Geht auf Staatskosten. Ich deklariere das Zeug als Einbalsamierungsflüssigkeit. Es ist traurig, aber in der Verwaltung kennt keiner den Unterschied zwischen altem Scotch und Formalin. Laß uns rübergehen."
"Willst du ihn nicht wieder zudecken ?"
"Der Junge ist hart in nehmen. Er friert nicht."
Damit verließen sie den Raum und ließen die stämmige Leiche im Dunkeln zurück. Und Joseph Picker, der als Kind Pfarrer werden wollte, froh tatsächlich nicht.

Die beiden Männer hatten es sich - so gut es ging - an den kleinen Tisch bequem gemacht. Aus dem alten Radio tönte schwermütige Bluesmusik.
Weber rauchte eine filterlose Lucky. Das tat er selten, aber dann mit Inbrunst. Der Pathologe stopfte sich seine Pfeife.
"Also, pass auf Pete" sagte er, nachdem das Ding endlich brannte.
"Wenn ein Genick bricht, dann kommt das eigentlich immer durch plötzliches, ruckartiges Fremdeinwirken. Ein Sturz, ein Schlag, eben etwas in dieser Art. Bei oberflächlicher Betrachtung, hatte das bei unseren Joseph genauso ausgesehen. Aber irgend etwas hatte mich gestört. Wie dich wahrscheinlich auch. Also habe ich noch einmal nachgesehen Die Verfärbungen am Hals, die du gesehen hast, sind normal bei Genickbrüchen. Das Gewebe schwillt an, wie bei alten Brüchen. Ich will dich nicht langweilen...
Jedenfalls waren mir die Blutergüsse in diesem Fall irgendwie zu unregelmäßig. - Nein ! Sag nichts. Ich sehe auch so, daß du gleich platzt. Also gut. Ich habe unaufgefordert den Hals untersucht und teilweise seziert. Und ich hatte recht."
Genüßlich wurde eine Pfeife neu angezündet. In diesem Moment hätte Weber, der zuweilen recht impulsiv war, nicht übel Lust, den schwarzen Kasper zu erschießen. Aber bevor es gefährlich für ihn wurde, redete Milton weiter.
"Was ich schließlich fand, Pete, waren Würgemale. Das - und jetzt halte dich fest - , sowie die Tatsache, daß dieser Genickbruch eine Quetschung war."
In diesem Moment mußte Weber ein wirklich dummes Gesicht gemacht haben. Resigniert legte der Arzt die Pfeife beiseite und sagte :
"Du mußt dir das so vorstellen, mein einfältiger Freund. Irgend jemand hat den guten Joseph am Hals gepackt, ihn vermutlich hochgehoben und dann solange zugedrückt, bis das Genick brach. Fazit : Du suchst jemand, der 260 Pfund hochhebt, als wäre es eine Kiste Bier, und dann einfach so, einen Stiernacken zerquetscht. Im übrigen, muß dieser jemand so groß gewesen sein, wie der gottverdammte Hulk im Fernsehen.
Zufrieden, über die großen Augen seines Gegenübers, lehnte der Weißkittel sich zurück.
"Was willst du mir erzählen Milt. Ist sowas überhaupt möglich ?"
"Nun, theoretisch schon. Aber ich kenne niemanden, der eine solche
Kraft hat..."
Aber einigen Profi - Catchern oder Gewichthebern würde ich das schon zutrauen... Die andere Frage ist, wer das ganz so ganz einfach mit gefährlichen Berufsverbrechern ausprobiert."
"Ja Milt. Noch eine Frage. Wie kommst du auf die Größe ?"
"Nachdem ich die Würgemale erst einmal lokalisiert hatte, habe ich sie ausgemessen. Danach habe ich anhand der Statistik, aus der Größe der Hand, auf die Größe des Körpers geschlossen. Dabei bin ich auf exakt 214 cm gekommen."
"Oh Scheiße !"
"Das war auch mein erster Gedanke. Aber danach kam gleich : Oh große Scheiße ! Weil die Statistiken, was Hände betrifft, ziemlich vage sind. Sag mir Pete, was machst du, wenn dein Baby für seine Größe, recht kleine Hände hat ?"
Weber dachte an die Fernsehserie : Der Hulk . Und dann bekam er Angst.


Rina war fertig. Körperlich, aber vor allem geistig. Mehr als drei Stunden hatte sie mit dem Anwalt gesprochen. Über den seltsamen Kunden, über eine Möglichkeit dahinter zu kommen, was hinter der Grabschändung, der Entführung der Nichte und hinter den anderen undurchsichtigen Komponenten dieses Falles stecken könnte.
Weitergekommen waren sie nicht. Zu undurchsichtig war das Leben des Carl Dermott. Zu undurchsichtig vor allem seine Machenschaften.
Das einzige, das herausgekommen war, war, daß der Verstorbene mit Summen gearbeitet hatte, die sein angegebenes Privatvermögen um einiges überstiegen. Zweitens : Er war ein Flüchtling. Wenn auch bis jetzt unklar war, wovor. Drittens : Es gab Tote. Bei der Rekonstruktion der letzten 10 Jahre in Dermotts Leben, waren einige ungeklärte Todesfälle aufgetaucht. All das, vermittelte ein vages Gefühl der Angst.
Aber jetzt, nach zwei Kannen Tee und je drei Whisky, kamen sie nicht weiter. Rina hatte inzwischen den obersten Knopf ihrer Bluse geöffnet.
Der Anwalt hatte seine Krawatte abgelegt. Graues Brusthaar quoll aus seinem Hemd hervor. Nicht zum ersten Mal, erinnerte er Rina an Sean Connery. Rina raffte sich auf, obwohl sie sehr müde war.
"Also Mr. Anwalt. Eigentlich ist es mein Problem. Aber ich gebe zu, daß ich Ihr Angebot der Hilfe, gern annehme. Nur... wie machen wir jetzt weiter ?
"Uns bleibt immer noch die Hausbesichtigung..."
"Ja sicher. Aber meinen Sie, daß sie uns weiterbringt ?"
"Haben Sie einen besseren Vorschlag ?"
"Nein. Den habe ich nicht. Aber was tun wir jetzt ?"
"Wir werden uns das Haus ansehen, das auf jeden Fall. Und ansonsten weiß ich nur, daß wir auf uns aufpassen müssen."
"Meinen sie wirklich, daß wir in Gefahr sind ?"
"Nun, wir haben Anhaltspunkte."
"Ja, Mr. Straker, aber keine Beweise. Es waren alles Unfälle. Offiziell."
"Ja. Aber macht ihnen das denn keine Angst ? Mir schon."
"Scheiße, mir auch. Aber was sollen wir denn schon tun . "
Die üblichen Umgangsformen, hatten sie schon vor Stunden abgelegt.
"Einigen wir uns also darauf, daß wir uns morgen vor dem Haus treffen ?"
"Ok. 10 Uhr. Bis dann Mr. Straker Und... - ich bin Ihnen sehr dankbar für ihre Unterstützung." Ein nettes Lächeln. Und Rina ging.
...in ihr Verderben.


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Weber bummelte herum. Ziellos lenkte er seine Schritte durch Brooklyn.
Er wußte selbst nicht so genau, was er hier suchte. Acht von seinen elf Morden, hatten hier stattgefunden. Das bedeutete, daß möglicherweise hier ein weit über zwei Meter großer Mörder mit Kräften eines Grizzly herumlief. Mit Koffern voll Geld und Drogen. Der Killer hatte den Gangstern immer bei größeren Deals aufgelauert, hatte sie, fast spielerisch, abserviert und das Geld und die Drogen mitgenommen.
Das naheliegendste wäre jetzt gewesen, zu warten, bis irgendwo größere
Mengen Drogen von einem unabhängigen Anbieter auftauchten.
Das konnte dauern. Wenn es überhaupt geschah. Vielleicht wurde der Stoff in einem anderen Staat oder in Übersee verhökert.
Verdammt, er hatte einfach keinen Ansatzpunkt. Dieser Stadtteil war heruntergekommen. Die Hälfte der Leute, die ihm begegneten, schauten ihn mit typischen - Hallo Bulle - ich - habe - dich - erkannt - Blick an.
Selbst wenn er wahllos Befragungen durchführen würde, käme nichts heraus. Andererseits ging es hier um Drogen. Und bei Drogen gab es immer eine Schwachstelle. Er war jetzt seit zwei Stunden unterwegs.
War in dunklen Gasen und hellen Bars gewesen. Er sah sich um. Gegenüber war ein kleiner Drugstore und Weber fand, es war ein ausgezeichneter Augenblick, um mit dem rauchen anzufangen.
Er betrat den Laden und sah sich um. Eine voluminöse, ältere Schwarze wischte die Ladentheke ab, und ein gleichaltriger Mann saß auf einem Schemel daneben und studierte ein Magazin.
Gerade als sich Pete eine Schachtel Luckys bestellen wollte, öffnete sich die Tür und ein junges Mädchen rauschte herein. Weber erkannte den Junkie sofort. Sie war nachlässig gekleidet und ziemlich schmutzig.
Weber duckte sich so gut es ging hinter das Zeitschriftenregal und gab vor, etwas zu suchen. Die junge Frau legte einige Magazine, ein Päckchen
Monatsbinden und Zigarettenpapier auf die Theke, und zückte ihr Geld, um zu bezahlen. Weber wurde heiß.
Die abgerissene junge Frau wollte mit einen Hunderter bezahlen.
Weber entschloß sich mit der jungen Frau zu unterhalten, als es passierte.
Ein junger Chikano mit Haaransatz und zuviel Goldschmuck stürmte in den Laden und schlug das Mädchen nieder.
"Dir werde ich helfen, du miese Fotze, mir meine Kunden auszuspannen. Wo hast du den Stoff her ? Rede Chika, oder ich schneide deine Titten in Würfel !"
Ein Springmesser blitzte in seiner Hand auf und Weber handelte.
Keine große Sache, er hatte dergleichen schon hunderte von Malen gemacht.
"Fallenlassen ! Polizei !" donnerte er und ließ sofort einen Warnschuß folgen.
Wie schon so oft, funktionierte es auch jetzt. Das Großmaul von eben ließ die Waffe fallen, hob die Hände und bibberte vor Angst.
Weber ging mit vorgehaltener Waffe auf ihn zu, drehte ihn nicht gerade zimperlich um, und sagte die Miranda Regel auf, während er ihm Handschellen anlegte.
Die beiden Schwarzen starrten ihn noch immer mit offenstehenden Mund an, und die junge Frau hielt sich eine Hand vor die blutende Nase.
Der ganze Vorgang war einfach zu schnell für sie.
Erst als die von Weber verständigten Cops kamen und den Chikano holten, erwachten sie aus ihrer Überraschung.
"Sollen wir diese hier auch mitnehmen, Sir ?" fragte einer der Uniformierten.
"Nein Officer. Die junge Dame brauche ich noch. Sie können losziehen. Den Rest regle ich schon."
Als die Cops wieder weg waren, stellte er sich als Detective Weber vor und bat das ältere Paar den Laden abzuschließen.
Er wandte sich sofort an die junge Frau, die sich offenbar überhaupt nicht wohl fühlte in ihrer Haut.
"Ok, Schätzchen. Deine Verletzung ist nicht der Rede wert. Also komm mir nicht auf die Mitleidstour. Ich darf dich nicht durchsuchen. Aber wenn du dich weigerst restlos alles auszupacken, was du dabei hast, dann rufe ich die Cops zurück und sorge dafür, daß du für ziemlich lange Zeit in den Knast gehst, verstanden ?"
"Scheiße" war die einzige Antwort.
Aber dann legte die junge Frau alles gehorsam auf die Ladentheke.
Es war nicht viel. Ein Ausweiß, ein Feuerzeug, ein Päckchen Tabak, 600 Dollar in bar und ein faustgroßes Päckchen Heroin.
"Ok. Laß uns reden, Mädchen."


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"Gehört der Stoff der kleinen Ratte von vorhin ?"
Weber schaute das Mädchen durchdringend an. Sie hatte blasse, pickelige Haut und das schlampig aufgetragene Make up, verstärkte den Eindruck der Verwahrlosung. Sie zog nervös an ihrer Zigarette.
"Nein man. Wenigstens glaube ich das nicht. Ich habe es nicht geklaut oder so."
"Woher hast du es dann ?"
"Geschenkt bekommen."
"Oh ja. Natürlich. Ich habe davon gehört. Die Heilsarmee läuft jetzt herum und verteilt Heroin in der Familienpackung an bedürftige Junkies.
Jetzt höre mir mal zu, Tussi. Ich habe viel zu tun und wenig Zeit. Wenn du mir nicht sofort und lückenlos erzählst, wo das Geld und der Stoff herkommt, dann ist der Fall für mich erledigt und du kommst aus dem Knast, wenn deine Wechseljahre beginnen."
"Ich weiß, daß das irre klingt, aber ich lüge nicht, man. Es war vorgestern.
Ich war pleite und auf Turkey. Ich brauchte dringend einen Schuß.
Aber an diesen Abend klappte rein gar nichts, man. Leihen tut mir auch keiner mehr was. Ich hatte in letzter Zeit ein bißchen Pech."
Klar, die letzten 10 Jahre, dachte Weber.
"Nicht einmal der Strich lief. Scheiße, die Leute sind zu geizig zum ficken.
Tschuldigung. Ich mach das nicht oft Officer, falls sie mir jetzt mit der Sitte kommen wollen. Na jedenfalls lief alles ganz beschissen und ich war in irgendeiner schmierigen Gasse. Da hab ich mich auf eine Mülltonne gesetzt und geheult. Ich wollte echt sterben.
Und da quatscht mich plötzlich einer an. Ich hab mir fast ins Hemd gemacht. Da war ein riesiger Kerl, ich habe noch nie so einen Riesen gesehen. Er hat mich gefragt, was mir fehlt. Ich hatte wirklich keinen Bock auf beichten, also habe ich ihm gesagt, er soll mir `nen Schuß geben oder sich ins Knie ficken. Dann stand er vor mir, glotzte `ne Weile und fragte plötzlich : "Ist es das ?" Und dann hält er mir einen Halbkilobeutel Stoff vor die Nase. Ich dachte, ich träume. Aber dann hatte ich das Zeug probiert, und es war vom Feinsten.
Ich habe ihm dann gesagt, daß ich keine Kohle habe und er sagte nur, ich könne es behalten und ging weg. Einen Teil habe ich verkauft. Daher ist das Geld und deswegen hat mich Ramon vorhin angehauen. Das ist die reine Wahrheit. Ich schwöre es !"
In Pete Webers Kopf klingelten Alarmglocken.
"Wie sah der Typ aus ? Beschreibe ihn mir, so gut es geht."
"Da gibt es nicht viel zu erzählen. Es war verdammt dunkel dort, Mann."
"Also, er war sehr groß, bestimmt über zwei Meter. Er hatte einen Bart und schulterlange Haare."
"Was hatte er an."
"Oh ja. Klar, das hätte ich fast vergessen. Ich hatte ihn nämlich zuerst für einen Priester gehalten. Aber das war nur wegen seinen dunklen Mantel und dem Hut. So ein Hut, wie Clint Eastwood ihn in dem Film :
Für eine Handvoll Dollar trägt. Und dann seine Stimme. Er hat sehr leise gesprochen, aber ich glaube, wenn er will, könnte er einen Ochsen niederbrüllen. Aber vielleicht würde er ihn auch gleich den Hals umdrehen."
"Sah er denn so kräftig aus ?"
"Na ja. Ich konnte nicht viel von ihm sehen, aber wenn er seinen Mantel nicht mächtig ausgestopft hatte, dann braucht er keine Axt um Bäume zu fällen. Wenn sie verstehen, was ich meine."
"Und mehr hatte er nicht gesagt, bist du dir sicher ?"
"Nein. Nur wie es mir geht und das ich den Stoff behalten kann.
War richtig unheimlich. Wenn ich nicht so fertig gewesen wäre, hätte ich echt Schiß gehabt. Und ich habe sonst vor gar nichts Angst."
Obwohl er mit diesem Junkie allenfalls Mitleid empfinden konnte, hätte er sie in diesem Moment küssen können. Denn er war sich sicher, daß das Mädchen von seinem Killer sprach.
"Ok Mädchen. Ich sorge dafür, daß dir wegen der Dealerei nichts passiert. Den Stoff bekommst du natürlich nicht wieder zurück, aber die Kohle kannst du behalten. Wir tun einfach mal so, als hätte ich dich nicht gesehen. Aber nur unter der Bedingung, daß du mich zu dieser Gasse führst, wo du diesen Finstermann getroffen hast. Ist das Ok für dich ?"
"Oh, Scheiße. Verdammt, ja ! Natürlich. Und da sag noch einmal einer, Bullen wären Schweine."
"Na also. Sag mal, hat es Sinn dich zu bitten dieses Gift aus deinem Körper zu lassen ?"
"Oh Scheiße, nicht diese Tour, dann lieber Knast."
"Schon gut, schon gut. Reg dich wieder ab. War nur `ne Frage."
Das schwarze Ehepaar, hatte in ein paar Meter Entfernung schweigend dem Verhör gelauscht. Jetzt wandte sich der Detective ihnen zu.
"Ich danke ihnen, daß sie so geduldig waren. Ich nehme an, daß sie zugehört haben. Wenn der große Mann hier auftauchen sollte, rufen sie mich bitte an ."
Er gab ihnen seine Karte, und die beiden nahmen sie schweigend entgegen.
"Na gut Mädel, dann laß uns gehen."
"Was denn, wollen Sie da jetzt etwa hin ? Es wird bald dunkel."
"Das macht nichts. Ich habe keine Angst. Und ich habe beschlossen, daß du auch keine hast."
Er wandte sich noch einmal an das ältere Ehepaar.
"Vielen Dank noch einmal für ihre Mühe."
Weber ging und das Mädchen folgte ihm.
Als sie weg waren, schloß Ma Allison sofort die Tür wieder ab.
Pop Elmo war schon auf dem Weg nach oben. Zuerst war sie versucht, dem jungen Kriminalbeamten vom größten Aspiringeschäft ihres Lebens zu erzählen.
Sie war sicher, daß es sich um den selben Mann handelte. Auch ohne die Kleidung. Sie glaubte nicht, daß es in derselben Stadt zwei Menschen gab, die der liebe Gott so reichhaltig beschenkt hatte.
Aber dann erinnerte sie sich, wie freundlich und großzügig der Riese gewesen war. Er hätte sich auch ohne Waffen alles nehmen können.
Aber er war höflich und hatte bezahlt.
Sie wollte nicht, daß der Mann Ärger bekam.
Ma Allison wußte nicht, wer er war und sie verstand auch nicht, was er mit Drogen zu tun hatte, aber ein Dealer war er nicht. Diese Ratten verschenkten das Zeug nicht. Sie verkaufen den Tod und werden reich dabei. Außerdem hatte sich Ma Allison in ihren 58 Jahren eine gesunde Menschenkenntnis angeeignet. Und dieser große Mann, kam ihr einfach rechtschaffen vor. Er hatte bestimmt ein freundliches Wesen, denn obwohl er ein solcher Gigant war, hatte sie sich vor ihm keine Sekunde bedroht gefühlt. Aber sie wollte auch um keinen Preis diesen Mann zum Feind haben. Denn das - und sie war sich in dieser Sache sicher - wäre die Hölle auf Erden. Sie folgte Elmo nach oben und beschloß, erst dann wieder um einen Pächter zu beten, wenn diese Geschichte vorbei war.
Irgendwie erschien es ihr wichtig.
Und wenn sie könnte, würde sie dem großen Mann helfen.


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Es war kurz nach 23 Uhr, als Rina auf die Straße trat. Auf ihren Wink hin, hielt sofort ein Taxi, das in gemächlichem Tempo die Lenox - Avenue herunterkam. Hätte sie öfter diese Verkehrsmittel benutzt - was wegen der Spesenrechnung nicht der Fall war - , dann hätte sie das schon stutzig gemacht. Jeder der dort zu tun hatte, wußte wie schwierig es war, in Manhattan ein freies Taxi zu bekommen. Und jeder New Yorker wußte, daß die Taxifahrer in dieser Stadt, die Straßen als ihr Privateigentum betrachteten, und niemals freiwillig so langsam fahren würden.
Es sei denn, sie suchten etwas... oder jemanden.
Aber Rina kam nun einmal aus Bloodcoven, Massachusets.
Sie stieg ein und nannte dem Fahrer ihre Adresse. Sie war müde und verwirrt und wollte nur noch ins Bett. Der Fahrer drehte sich zu ihr um.
Er war ein sehr großer, kräftiger Mann und grinste sie an.
Mit seinen ausgeprägten Augenwülsten, sah er primitiv aus. Er hatte sehr schlechte Zähne und machte einen ungepflegten Einruck.
Mißtrauisch wurde sie aber erst, als seine Faust auf sie zu kam.
Und dann wurde alles sehr schnell dunkel.

Arnold Jedediah Straker war beunruhigt. Er saß zurückgelehnt an seinem Schreibtisch mit einem Glas Whisky in der Hand, und betrachtete die Skyline von Manhattan. Die junge Frau war gerade gegangen.
Sie gefiel ihm. Nicht im sexuellen Sinn. Er war ein Gentleman und außerdem nicht mehr der jüngste. Aber sie war zäh. Sie gab nicht auf, obwohl die Schwierigkeiten sich häuften. Und Straker befürchtete, daß sie noch viel mehr Schwierigkeiten bekommen würde. Aber auch das würde sie nicht abschrecken. Eine bemerkenswerte junge Frau.
Sie erinnerte ihn an seine erste Frau. Vor langer Zeit, als das Benzin noch in Gallonen verkauft wurde und die Dinge noch einfach waren.
Straker war alles andere als ein ängstlicher Mann. Er hatte oft Mut bewiesen in seinem Leben. Sonst würde er ein paar Etagen tiefer sitzen und mit dem Bus nachhause fahren. Aber jetzt hatte er Angst.
All die unguten Gefühle, die ihn immer beherrscht hatten, wenn er mit Carl Dermott zu tun hatte.
Sein Instinkt riet ihm, sich so gut wie möglich, aus der Sache heraus -zuhalten. Aber er konnte und wollte dieser Angst nicht nachgeben.
Umsoweniger, als die junge Miss Warden dann ganz allein dastehen würde. Nein. Diesmal würde er die Augen nicht verschließen.
Diesmal würde er das Geheimnis um Dermott ausgraben.
Und es würde ein dunkles, dreckiges Geheimnis sein, dessen war er sich sicher. Er stand auf und ging zum Safe. Es handelte sich um ein kleines, aber sehr robustes Model. Dann öffnete er seine Taschenuhr und las die eingravierte Kombination ab. Er konnte alle Spiele der Red Sox ( er war gebürtiger Bostoner ) seit 1960 auswendig aufzählen.
Aber Telefon, Konto, oder eben Safenummern, konnte er sich nie länger als fünf Minuten merken.
Der Safe öffnete sich geräuschlos und einige Akten, eine Stahlkassette und eine kleine Ledermappe kamen zum Vorschein.
Er entnahm dem Ledermäppchen einen sehr kleinen, vergilbten Zettel.
Das Papier war brüchig, die Tinte fast gänzlich verblaßt.
Zwölf Zahlen standen darauf, sonst nichts.
Straker setzte sich in seinen Sessel und strich mit den Fingern über das Papier, das vor über dreißig Jahren beschriftet wurde.
Das Telefon schien ihn anzugrinsen und die Schatten im Zimmer begannen zu kichern, als die Erinnerung kam.
Die Erinnerung an damals, als er diesen seltsamen Mann und sein Monstrum von Diener traf. Es war ein dunkler Punkt in seiner Karriere und er hatte nie darüber gesprochen. Es gab damals viele Tote und Straker selbst war nur knapp davongekommen.
- Wenn Sie irgendwann nicht mehr weiter wissen, sich an niemanden mehr wenden können und wenn Sie in Gefahr sind, dann rufen sie diese Nummer an. Aber tun Sie das nicht leichtfertig.
Denn wir kommen nur einmal ! -
Mit diesen Worten wurde ihm der Zettel damals überreicht. Er hatte ihn fast vergessen. Seine Karriere konnte sich fortan gut entwickeln und er war nie in der Lage gekommen, diese spezielle Art von Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber jetzt schien der Zeitpunkt gekommen.
Er hob den Hörer ab und wählte.
Henry Whotton in Castle Rock, Main wurde vom Telefon geweckt.
Er war vor dem Fernseher eingeschlafen, die halbleere Bierdose in der Armbeuge. Schlaftrunken meldete er sich. Und wurde schlagartig nüchtern. Vor 18 Jahren hatte er das alte Landhaus im New England Stil für einen lächerlichen Preis erhalten. Die einzige Bedingung war, die alte Telefonnummer zu behalten, und Anrufe - bestimmte Anrufe - an eine andere Nummer weiterzuvermitteln. Außerdem, wurde kein Zweifel daran gelassen, daß etwaige Nachforschungen über diese Nummer, seiner Gesundheit sehr abträglich wären.
Er hatte eingewilligt. 18 Jahre lang, war nichts passiert. Jetzt kam der Anruf. Stammelnd bat er um etwas Geduld, holte eine vergilbte Karte aus dem Portemoinet und gab langsam die neue Nummer durch.
Der Anrufer bedankte sich kurz und hängte ein.
Henry Whotton stand auf und ging ins Schlafzimmer. Er lächelte.
In seinen Augen war es noch immer ein gutes Geschäft. Selbst wenn es ungesetzlich sein sollte. Scheiß drauf, die ganze Regierung war ungesetzlich. Er hatte in diesem Haus ein schönes Leben und wünschte seinem mysteriösen Vorbesitzer und seinen Freunden ein ebensolches.

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Straker wählte die neue Nummer, und im tiefsten Brooklyn klingelte ein Telefon.


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Weber schaute sich um. Es war eine dunkle, schmutzige Gasse.
Wasser tropfte und irgendwo klingelte ein Telefon. Sie waren ziemlich weit gelaufen. Der Laden, in dem er sie getroffen hatte, war in der Nähe der Foster - Avenue und jetzt waren sie irgendwo beim Washington Friedhof. Die Kleine hatte ständig genölt, sie wollte nach hause und man
könne doch morgen wiederkommen. Als sie selbst vor eindeutigen Angeboten nicht zurückschreckte, mußte er fast lachen.
Er wußte genau, daß, wenn er sie jetzt wegließe, keine Polizei der Welt sie wiederfinden würde. Und so hatte er sie weitergetrieben.
Oft mußte sie stehenbleiben oder zurückgehen. Junkies taugen nicht viel als Fremdenführer. Aber jetzt war sie sich sicher, daß sie in der Gasse standen, wo sie das Rauschgift von dem finsteren Riesen bekommen hatte.
"Wohnt hier jemand, oder ist das nur eine Hinterhofgasse ?" wollte er wissen.
"Woher soll ich das denn wissen, Mann ? Ich bin hier nur gelandet, weil ich auf T Turkey war. Jetzt gefällt es mir jedenfalls gar nicht mehr hier und ich will heim, Ok ?"
"Und du bist sicher, daß es hier war...?"
"Ja, Scheiße noch mal. Da, auf der Mülltonne habe ich gesessen, als
Mr. Hyde den Nikolaus spielte. Kann ich jetzt gehen ?"
"Ja, schon gut. Hau jetzt ab. Aber denke daran... Wenn ich dich brauche, dann finde ich dich auch."
Er erhielt keine Antwort. Die Kleine zog die Schultern hoch und war verdammt schnell verschwunden.
Weber schaute sich um. Eine ganz normale Brooklyn Hinterhofgasse.
Schmutzig und dunkel. Die Gebäude gewerblich genutzt, kleine Fabriken... Lagerhäuser.
Was zum Teufel kann der Typ hier gewollt haben ?
Er lehnte sich an eine Mauer, um sich ganz Sam Spade, eine Zigarette anzuzünden. Dabei brach etwas. Weber fuhr wie von einer Tarantel gestochen hoch. Ein harmloses Geräusch, kann verdammt laut sein in einer solchen Gasse. Er drehte sich um. Unbewußter Druck hatte seine Zigarette eine abenteuerliche Form verliehen. Scheiß auf Sam Spade.
Das hier war die Wirklichkeit.
Es war ein Briefkasten.
Sperrholz und Blech. Billig. Aber ein Briefkasten. Wer bekam hier Post ?
Tripple war die schlichte Aufschrift.
Erst jetzt - und er schämte sich dafür - fiel ihm der Niedergang auf.
Ein Niedergang zu einer Kellerwohnung, mit einer spärlich beleuchteten Klingel. Weber ging sieben Stufen hinunter und klingelte.
Gerade als er es ein weiteres Mal versuchen wollte, hörte er auf der anderen Seite der schweren Tür, ein Schlurfen.


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"Hast du sie entsprechend befragt ?"
"Ja Sir, habe ich. Aber diese Fotze sagt nix."
"Hole heraus, was ich hören will. Danach gehört sie dir."
"Ja Sir... Jaaaaaa !"
Er legte den Hörer auf. Er war ein äußerst muskulöser Mann.
Und er sah gut aus. Das hatte ihm seine Mom schließlich oft genug gesagt. Und jetzt mußte er der Schlampe nur noch ein paar Worte abpressen, dann gehörte sie ihm. In Erwartung dessen, was kommen würde, legte er sich die Bohrmaschine und den Schneidbrenner zurecht.
Rede Mädchen... dann gehörst du mir !


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"Hallo..."
"Ich verstehe, einen Moment bitte..."
"Van Dorn ?"
"Straker hier... 30 Jahre dachte ich, ich würde niemals Hilfe brauchen.
Aber jetzt weiß ich nicht mehr weiter..."
"Gut, sprechen sie..." sagte Van Dorn.


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Rina fühlte sich furchtbar.
Sie hatte Kopfschmerzen, eine geschwollene Lippe und schmeckte noch immer das salzige Blut.
Sie konnte sich daran erinnern, daß der Taxifahrer sie geschlagen hatte...
- Aber nicht, warum. Nicht einmal, warum sie in diesem Taxi gesessen hatte. Sie sah sich um. Ein kleiner, fensterloser Raum... Irgendwo...
Jetzt war sie richtig wach. Und damit kam die Angst..


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Duggan drehte sich eine Zigarette. Er war einer von jenen, die eine Viertelstunde dafür brauchten. Er hatte die kleine Schlampe aus dem Verkehr gezogen. Yassir. Wie es der Chef verlangt hatte. Und wenn sie geredet hatte, gehörte sie ihm. Yassir. Yassir. Das war es, was sein Vater immer hören wollte. Winslow Peter Duggan war jemand, der ab dem achten Lebensjahr mit Kasernenhofdrill leben mußte.
Sein Vater fühle sich schon früh als Versager. Die Green Berets hatten ihn nicht genommen. Er war nur ein Marine. Im Zivilberuf : Klempner.
( Daß er wegen mentaler Instabilität bei den Green Berets abgelehnt wurde, verschwieg er. Auch vor sich selbst. )
Als sein Sohn ( Danke Gott, kein nutzloses Mädchen ) geboren wurde, schwor er sich, der wird es packen. Ein Green Beret, oder ein Ranger...
So kam es, daß dieser arme Junge ein Leben wie ein Berufssoldat hatte.
Von Anfang an.
Für Mädchen hatte er nie Zeit. Für Hobbys auch nicht. Er mußte spuren.
Und als sein Vater starb, hatte er einen homiziden Wahnsinnigen hinterlassen.
Und wahrscheinlich hätte es ihm auch gefallen.


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Die Tür öffnete sich um zehn Zentimeter und gedämpftes Licht fiel in die schmutzige Gasse. In einer Höhe von knapp sechs Fuß, blickte ihn ein hageres Gesicht fragend entgegen.
"Ja, bitte ?"
"Guten Abend Mr... äh... Tripple. Mein Name ist Weber. Ich bin Polizist und hätte ein paar Fragen an Sie. Wenn ich nur fünf Minuten herein -kommen dürfte."
"Können Sie sich ausweisen, Mr. Weber ?"
"Natürlich." Weber fischte mit geübten Griff seinen Dienstausweis aus der Tasche und reichte ihn unter der Türkette hindurch.
Sein Gegenüber hielt das Dokument ins Licht und studierte es lange und gründlich. Webers Meinung nach, war Mr. Tripple etwa sechzig Jahre alt.
Er war einfach und altmodisch, aber sauber gekleidet, von schlanker Gestalt, mit spärlichem Haar. Und er hatte das ehrlichste und nichtssagendste Gesicht, das Weber je gesehen hatte.
Er gab den Ausweis zurück.
"Das ist wohl in Ordnung. Kommen Sie bitte herein."
Der Polizist hörte, wie auf der anderen Türseite, die Kette gelöst wurde.
Gleich darauf schwang die Tür auf, und gab den Blick auf einen winzigen, spärlich beleuchteten Flur frei.
"Ich wollte auf keinen Fall unhöflich wirken Detective, aber wir leben in Zeiten, in denen Mißtrauen, Sicherheit bedeutet."
"Kein Problem Sir. Wenn alle so vorsichtig wären wie Sie, dann hätte es meinesgleichen weniger zu tun. Leben Sie allein ?"
Bewährte Polizeitaktik. Nach Allgemeinplatz gleich eine Frage.
"Mit meiner Frau. Im Sommer sind wir sechsunddreißig Jahre verheiratet.
Das ist heute auch keine Selbstverständlichkeit mehr. Ich darf mal vorgehen, ja ?"
Hinter der nächsten Tür, entpuppte sich das vermeintliche Kellerloch als kleine, aber gemütliche Bleibe. Die Wohnung bestand aus einem großen Raum mit einer Kochnische, von dem zwei Türen abgingen.
Vermutlich Schlaf - und Badezimmer. Auf einem Sofa aus den Bürger -kriegstagen, saß eine winzige, grauhaarige Frau und schaute in einen gigantischen, hochmodernen Fernseher.
"Das ist meine Frau Ruth und das ist Gordon, unser Fernseher.
Wir verbringen viel Zeit mit ihm, und er war so teuer, daß wir ihm einfach einen Namen geben mußten. Das ist Mr. Weber Ruthy. Er ist Police - Officer und hat Fragen an uns. Nehmen Sie bitte Platz, Detective. Kaffee?"
"Nein, danke Sir. Ich hatte schon zuviel heute."
Weber ließ sich in einen großen Ohrensessel sinken.
Normalerweise würde er jetzt seinen Block zücken. So etwas machte Eindruck. Aber irgendwie waren ihm die alten Leute sympathisch und er verzichtete auf diesen billigen Trick.
"Worüber möchten Sie mit uns sprechen, Mr. Weber ? Ist irgend etwas nicht in Ordnung ?"
Die Frau wirkte ehrlich besorgt und ignorierte nun auch Dave Letterman, der im Fernsehen bemüht war, witzig zu sein.
"Oh, nein Ma´m. Kein Grund zur Sorge. Es ist nur so, daß wir einen Mann suchen, der vor kurzem in ihrer Straße, quasi vor ihrer Haustür gesehen wurde. Wir wollen eigentlich nur wissen, ob sie ihn vielleicht gesehen haben."
"Oh je, junger Mann. Wenn wir Sie da mal nicht enttäuschen müssen.
Sehen Sie, wir verlassen nur sehr selten das Haus."
Sie sagte es, als spräche sie von der Villa einer Scarlett O Hara.
"Was wir zum leben brauchen, bringt uns ein Botenjunge, und dieser Stadtteil lädt nicht gerade zu Spaziergängen ein. - Wann soll das denn gewesen sein?"
"Vor zwei Tagen, kurz nach Mitternacht."
"Dann tut es uns leid, Officer. Ich war das letzte Mal vor drei Wochen auf der Straße und bei meiner Frau ist es sogar noch länger her.
Natürlich hören wir manchmal Lärm von der Straße, aber sie werden verstehen, daß wir dann erst recht nicht hinausgehen. Wir haben ein wenig Erspartes, unsere Wohnung, und unseren Gordon. Das reicht uns.
Wir brauchen nicht viel zum leben."
"Ich verstehe. Nun, da kann man eben nichts machen. Danke, daß sie Zeit für mich hatten."
Mr. Tripple brachte ihn zur Tür und verabschiedete ihn mit einem freundlichen Händedruck. Weber hatte nicht wirklich erwartet, daß die alten Leute etwas gesehen hatten. Er konnte es ihnen auch nicht übel nehmen, wenn sie sich taub stellten, während eine Treppe höher ein Killer mit Ausmaßen eines Frankenstein - Monsters mit Heroin um sich warf.
Es hatte zu nieseln begonnen. Und mit dem Bewußtsein, wieder einmal nichts erreicht zu haben, machte sich Pete Weber auf dem Heimweg.


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"Du hast es schon wieder getan !"
Van Dorn war ungehalten. Er war selten ungehalten und niemals wirklich wütend. Aber jetzt war er ungehalten und das war unangenehm genug.
"Ich mußte Sie aus der Gasse vertreiben und Sie hatte es wirklich gebraucht."
Es war ein seltsames Bild, wie der riesige Mann vor dem viel kleineren stand, und zerknirscht um Verzeihung flehte.
"Nun, vermutlich war deine Entscheidung richtig. Was Solls.
Vergessen wir’s."
Ein Ausdruck der Erleichterung machte sich auf dem Gesicht des
Hünen breit.
"Wir haben einen Anruf bekommen. Erinnerst du dich an Straker, den Anwalt ? Er braucht unsere Hilfe. Also, um es mit Cäsars Worten zu sagen : Mach meine Legion mobil !"
Der große Mann hörte sich die Einzelheiten an und verschwand.
Van Dorn nahm das Telefon und eine gutgeölte Maschinerie,
setzte sich in Gang.


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Rina Warden war jenseits der Angst. Sie saß nackt an einen Stuhl gefesselt, der keine Sitzfläche mehr hatte. Ihre Augen waren zugeschwollen. Sie hatte zwei gebrochene Finger, drei gebrochene Rippen und blutete aus diversen Platzwunden. Die verbrannte Haut unter ihren Armen und an ihrem Unterleib schmerzte höllisch.
Sie hatte diesem muskelbepackten Irren schon zu Beginn der Folter alles gesagt, was sie wußte oder erfinden konnte. Aber offenbar nicht das, was er hören wollte.Denn es war noch nicht zu Ende.
Das Feuer unter ihrem Stuhl, das ihre Genitalien schmerzhaft versengt hatte, war längst erloschen. Aber eben jetzt kam der Folterer wieder durch die zerkratzte Stahltür. Ein irres Grinsen in dem häßlichen Gesicht und eine Schlagbohrmaschine in der Hand.


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Niemand da.Es nahm niemand ab.
Zum Teufel,das sah der kleinen nicht ähnlich.Es paßte einfach nicht zu ihr.
Perry Cure war nicht der Typ,der sich um alles und jeden sorgte.
Aber wenn Rina Warden sich über 24 Stunden nicht meldete,obwohl sie an einem Fall war,...
Das war wahrhaftig ungewöhnlich.
Perry war seit 30 Jahren in diesem Geschäft.Wenn er jeh einem Mitarbeiter vertraut hat,dann miss Warden.
Sie war sehr gewissenhaft,groß und kräftig für eine Frau...
Sie wußte was sie tat.Sie brauchte keine Hilfe.
Natürlich nicht!
Aber morgen würde er die Polizei rufen.
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Pete Webers Wohnung war nichts besonderes.
Ein 3-Zimmer apartment in Queens.Eine Wohnküche,ein paar Filmplakate,viele Bücher.
Natürlich,wäre es schöner,wenn Pete ein Kunstsammler oder ein Sherlock Holmes Fan wäre.Oder er in seiner kindheit eine geheime Ninja-Ausbildung genossen hätte.
Aber dem war nicht so.
OK,Er war nicht dumm.Aber er war ein Cop.Und das mit Leib und Seele.
Er hatte eine durchschnittliche Schulausbildung und ein echtes Problem.
Er hatte einen Killer ohne Motiv.
Die Jungs vom organisierten Verbrechen wußten nicht weiter,und das beschissene FBI war zugeknöpft wie immer.Was nichts anderes bedeutete,als das sie auch nichts wußten.
Er hatte also einen killer,groß,stark und...frei.
Pete fühlte sich wie gerädert.Der ideale Moment für einen Schluck.
Er ging zu etwas,was anderen Zeitgenossen vielleicht als Schuhschrank gedient hätte.
Das war seine Bar.Er entnahm eine Flasche seines Lieblingsgetränks.
Er würde es nie zugehben,Aber es war Southern Comfort.
Weber wußte sehr wohl,daß diese Tatsache bei den meisten Menschen ein süffisantes Lächeln hervorrufen würde.
Aber die wirklich harten Männerdrinks,wie Whisky oder Vodka
waren ihm ganz einfach zu heftig.Denn,um das Mike Hammer Bild gänzlich zu zerstören,er vertrug Alkohol generell nicht besonders gut.
Er lümmelte sich in das fadenscheinige Sofa und schaltete den Fernseher ein.Nicht um zuzusehen,sondern um die Stille zu vertreiben.Es liefen ohnehin nur irgendwelche Wiederholungen irgendwelcher Seifenopern.
Das halbvolle Glas in den Händen drehend,grübelte Weber über diesen vertrackten Fall.
Er hatte weiß Gott genug andere Fälle um die er sich zu kümmern hatte.Aber irgendwie kamen seine Gedanken immer wieder auf diesen Dealer-Killer zurück.Im Grunde tötete dieser Mann nur solche,die es nach Webers dafürhalten zehnfach verdient hatten.
Das änderte jedoch nichts an der Illegalität seines Tuns.Mit den normalen Indizien kam er hier nicht weiter. Die Mordkommission ging davon aus,daß der Mörder seine Opfer bei Geldübergaben erwischt hatte,um diese zu seinen Gunsten umzudisponieren.
Das hatte soweit prima geklappt und war natürlich nicht ohne Folgen geblieben. Seit den ersten Morden vor ein paar Monaten,
wetzten sowohl die Mafia als auch die Kolumbianer eifrig die Messer und bereiteten sich auf eine offene Konfrontation vor.
Ein Drogenkrieg im großen Stil war das letzte was der Big Apple brauchte.Insofern hatte die Polizei natürlich ein besonderes Interesse an der Lösung dieses Falles.Die Kollegen auf dem Revier ergingen sich in blutrünstige Vermutungen,was die Kolumbianer mit dem Mörder tun würden,wenn sie ihn vor der Polizei erwischen würden.
Pete Weber allerdings glaubte nicht,daß der sich diesbezüglich sorgte.Ein Mann,der ganz allein eine Horde bewaffneter Top-Gangster angriff,fürchtete sich nicht so schnell.
Auf jeden Fall hielt ganz New York Ausschau nach einem sehr großen,sehr kräftigen und mittlerweile auch sehr reichen Mann.
Bedachte man welche Summen bei einem mittleren Drogendeal den Besitzer wechseln,mußte die Beute die Millionengrenze längst überschritten haben.Wer zum Teufel brauchte da soviel Geld ?
Ich zum Beispiel,dachte Weber und schenkte sich nach.
Er stürzte seinen Drink herunter und stand auf.Es war ein langer Tag und jetzt wollte er nur noch duschen und dann ins Bett.
Er hatte erst einen Schuh ausgezogen als das Telefon klingelte.
"Pete Weber hier und ich hoffe es ist dringend."
"Ich kann auch wieder auflegen,Mann."
"Nein warte! Mach keinen Scheiß."
Weber hatte den quengeligen Tonfall sofort erkannt.Es war die kleine Schlampe aus Brooklyn.Er hatte im Traum nicht damit gerechnet,je wieder von ihr zu hören.Das hinterlassen der Telefonnummer war in solchen Fällen reine Routine.
"Was gibt es denn...ist dir noch was eingefallen ?"
"Nee,das gerade nich.Aber..."Das Mädchen klang nervös und Weber konnte sich vorstellen wie sie an den Fingernägeln kaute.Er hasste Fingernägel kauen.
"Nun komm schon Mädel,erzähl.Ich war schließlich fair oder."
"Ja Mann.Also gut ich habe ihn wiedergesehen,"
"Den großen Mann ? Wann,Wo ?"
"Hör mal Bulle,was willst du eigentlich von dem ? Ich meine er ist doch kein Pusher.Er hat mir den Stoff geschenkt."
Dieser Anflug von Loyalität hatte etwas rührendes.Das fand man nicht oft bei Menschen wie ihr.Trotzdem log Weber ohne zu zögern.
"Mach dir seinetwegen keine Sorgen.Ich brauche ihn nur als Zeugen,aber das ziemlich dringend."
"Ach so,na dann OK.Jedenfalls bin ich gerade bei einem Frei...
einem Freund.Und auf dem Weg zu seiner Bude,sind wir bei den vielen Lagerhäusern vorbeigefahren.Unten auf der Rückseite der Flatbush,weißt du..."
"Ja ja,schon gut ich kenne die Gegend."
"Na bestens.Tja und da war er."
"Was soll das heißen da war er.Ich meine was hat er gemacht."
"Wie zum Teufel soll ich das wissen.Er lief da einfach so lang.Ich saß im Auto und wir sind an ihm vorbei gefahren.Das war alles,aber ich dachte du willst das wissen."
"Ja klar,das ist auch so.Danke.Aber denk bitte nochmal nach.Was hatte er an,wo ging er hin ?"
"Der sah genauso aus wie letztesmal,mit Hut und Mantel undso.Wo er hinging weiß ich nicht aber es sah aus als hätte er es eilig."
Mehr würde Weber von ihr wohl nicht erfahren.Aber was er hatte,reichte um alle Müdigkeit zu vergessen.
"OK Mädchen,jetzt das wichtigste.Wann war das ?"
"Naja,ich schätze so vor zehn minuten."
Zehn Minuten !Es gab also doch einen Gott.
"Danke Kindchen,du hast mir sehr geholfen."
Er knallte den Hörer auf die Gabel bevor sie etwas erwidern konnte.Zehn minuten.In weiteren zwanzig minuten konnte er dort sein.So dicht war er noch nie an ihm drangewesen.Er schnappte sich Schulterhalfter und Jacke und stürzte aus der Wohnung. Kurz darauf kam er zurück und zog sich seinen Schuh an.

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Donald Grebb hatte keinen Anruf von Van Dorn erhalten.Donald hatte seit Jahren nicht mehr telefoniert.In seinen Kreisen verständigte man sich anders.Er war eine jener abgerissenen Gestalten,die man gelegentlich beim durchstöbern einer Mülltonne oder beim betteln auf der Plaza beobachten konnte. Er war ein Penner,und das schon seit über 20 Jahren.Seit über 20 Jahren streifte er in den dunklen Gassen der Stadt umher.In den Abbruchhäusern,den Abwasserkanälen,all jenen Orten,die auf den Stadtplänen zu kurz kommen,die nie ein Tourist zu Gesicht bekommt.
Oh ja,Donald Grebb kannte diese Stadt.Er war ein Teil von ihr.
Und genau wie fast zweitausend seiner Kollegen hatte er die Nachricht vernommen.Durch dunkle Kanäle,über die nachzudenken Donald sich nicht die Mühe machte,war es zu ihm gedrungen.
Van Dorn suchte jemanden.Und er war eines seiner Augen.
Wenn Van Dorn jemanden suchte,dann hielten tausende Ausschau,oder sogar Millionen.Donald war es einerlei.Er begriff die eine Zahl sowenig wie die andere.Wenn man lebte wie er,bewegte sich die welt allenfalls in Zehnerschritten.Er wußte auch nicht warum diese Menschen,die sich sonst einen Scheißdreck um den Rest der Welt kümmerten,auf den simplen Befehl eines Mannes reagierten,den kaum einer je gesehen hatte.War es Loyalität ? Oder Angst ?
Vermutlich eine Mischung aus beidem.
Er hatte Van Dorn noch nie gesehen.Auch nicht den großen Mann,seine rechte Hand.Das galt auch für die meisten anderen.
Aber es gab in Donalds Kreisen einige ungeschriebene Gesetze. Eines davon war,sofort zu reagieren,wenn Van Dorn sich meldete.
Nun,er hatte sich gemeldet und der Auftrag war klar.
Man sollte ein Auge auf eine junge Frau werfen,zumindest anfangs ging es darum.Nachdem aber einer seiner Genossen bereits gemeldet hatte,daß das Mädchen gestern nicht zu Hause angekommen war,hieß es jetzt sie zu suchen.
Donald wußte nicht worum es dabei ging und es war ihm auch scheißegal.Aber er war stolz wie ein Truthhahn,daß er sie gefunden hatte.Er hatte sofort einen Kumpel losgeschickt,der,wie er sagte an ein Telefon herankonnte.Als der zurückkam,sagte er Van Dorn wolle,daß er das Haus nicht aus den Augen läßt,bis der große Mann erscheint.Danach hatte er Fersengeld gegeben.Vermutlich mußte er weitertelefonieren.Aber wahrscheinlicher war,daß er Schiß hatte.
Der große Mann sollte ein ziemlich finsterer Geselle sein.
Dementsprechend nervös war Donald jetzt,während er auf ihn wartete.Aber erstens lautete so die Order und zweitens war er viel zu neugierig um jetzt zu gehen.Wer weiß,vielleicht bekam er den berühmten Van Dorn ja auch persönlich zu Gesicht.Das würde ihn schon reizen.
Old Smoke,drüben in der Bronx hat erzählt,er hätte als kleiner Junge mal etwas für Van Dorn erledigt.Und Old Smoke war weit über achtzig Jahre alt !Dieser Van Dorn Typ mußte so alt sein wie der gottverdammte Methusalix oder wie der hieß.
Wie auch immer,bis der große Mann eintraf,konnte er es sich ebensogut bequem machen.natürlich ohne dabei das verfallene Lagerhaus aus den Augen zu verlieren,in dem das Mädchen mit dem Muskelprotz verschwunden war.
"Mr.Grebb ?"
Donald hatte keine Schritte gehört bevor er angesprochen wurde.
Es war eine leise ,tiefe Stimme.Und es war das erste Mal seit mehr als zehn Jahren,daß ihn jemand beim Nachnamen nannte.Er drehte sich um und sah eine riesige Gestalt in einem langen Mantel.
Das war mit Abstand der größte Mensch den er je gesehen hatte.
Wenn es ein Mensch war...Donald hatte seine Zweifel.

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Nachdem Weber seine Kleidung komplettiert hatte,hastete er auf die Straße.Er war versucht,sofort in seinen parkenden Nissan zu springen,aber er wußte genau,daß niemand so schnell durch den New Yorker Verkehr kam wie ein Taxifahrer.
Also rannte er weiter,zwei Häuserblocks,bis er ein Taxi auf der Straße sah.Der Wagen wartete ganz artig vor einer roten Ampel.
Das war bei Taxifahrern in New York keineswegs üblich.
Pete Weber wußte das und beschleunigte sein Tempo.
Er war zwar körperlich recht gut beieinander,aber trotzdem rauschte ihm von der Rennererei das Blut in den Ohren.
Er hetzte auf die Straße,Sprang achtlos über einen Volkswagen hinweg und warf sich in das Taxi.
"Weber,Mordkommission.Ich gebe ihnen zwanzig Bucks extra wenn sie einen neuen Rekord zur lower Flatbush fahren."
"Dann halt dich mal gut fest Buddy."
In Kenntnis der New Yorker Mentalität,hatte Weber nicht mit seiner Dienstmarke,sondern mit einem Zwanziger gewunken.
Die Fahrt ging los und es war halsbrecherisch.Aber es war ein guter Fahrer,der wußte,was er tun konnte und was nicht.
Erst jetzt fand Weber Zeit sich den ursprünglichen Fahrgast anzusehen.
Es war ein ältlicher Gentleman in einem konservativen Zweireiher.
Und er wunderte sich augenscheinlich überhaupt nicht über das Geschehene.
"So so,Sie sind also von der Polizei wie ?"
Er hielt sich bei der unruhigen Fahrt an der Armlehne fest.
"Jawohl Sir,und es tut mir wirklich leid,daß ich sie aufhalte.
Aber diese Sache ist wirklich wichtig."
"Oh,das ist schon in Ordnung.Ich hoffe bloß,daß der Verrückte da vorn uns nicht alle ins Grab bringt.Ferner bin ich nicht bereit diesen kleinen Umweg zu bezahlen.Aber ansonsten bin ich unserer Polizei jederzeit gern behilflich."
Na dann,dachte Weber und konzentrierte sich auf die Fahrt.Dieser Bursche war wirklich schnell.
Kaum daß der Wagen die Lower Flatbush erreicht hatte,fuhr er langsamer,fast gemächlich weiter.
"Wo genau soll ich halten Mister ?"
Das war eine gute Frage und Weber verfluchte sich,daß er nicht nachgefragt hatte.
"halten sie einfach hier.Hier ist es prima."
"OK,Sie sind der Boss Mann.Aber prima ist es hier ganz bestimmt nicht.Ich würde hier jedenfalls nicht freiwillig austeigen."
"Tja,was sein muß,muß sein.Vielen Dank Mann.Und ich entschuldige mich nochmal bei Ihnen Sir."
Der ältere Herr hob grüßend die Hand.Er hatte es irgendwie fertig gebracht,trotz der halsbrecherischen Fahrt immernoch stoische Ruhe auszustrahlen.
Weber stieg aus und sah sich um.Vermutlich hatte das Mädchen eine der Parallelstraßen der Flatbush Avenue gemeint.
Also los.Er konnte ohnedies nur auf gut Glück suchen.
Er ging schnell in die nächste Querstraße.Er wäre gern gerannt,aber er wollte auf keinen Fall irgendjemanden nervös machen.Obwohl nur wenige Meter von der großen,vielbefahrenen
Flatbush Av.entfernt,war das Bild das diese Straße bot ein völlig anderes.Hier kam niemand her,der nicht hier zu tun hatte.
Es waren nur wenige Fußgänger zu sehen.Viel herumliegender Abfall,
Lagerhäuser,ein paar wenige Wohnungen.
Diese Wohnungen klammerte Weber sofort aus.Dort wohnten zumeist die Aufseher der Lagerhäuser oder andere,die hier zu tun hatten.
Nein.Wonach er Ausschau hielt,war ein Schuppen,ein leeres Lagerhaus oder eine Garage.Natürlich war dieses Vorgehen rein
instinktiv.Aber Weber glaubte damit auf dem richtigen Weg zu sein.
So ging er,scheinbar zielstrebig,die Straße entlang.
Als er dem Fluß immer näher kam,wurde die Gegend noch menschenleerer und unangenehmer.Weber war versucht seine Waffe zu ziehen bevor er weiterging.Aber das hätte für etwaige Zuschauer nicht gut ausgesehen.
Inzwischen war er der Einzige auf der Straße.
Nach rechts ging es in eine Sackgasse.Düster,dreckig mit einer Laderampe für LKW's.Die Rückseite eines Lagerhauses.
Genau der Ort,den Weber sich ausgesucht hätte,wenn er sich verstecken wollte.
Bingo.Vielleicht.
Langsam,auf jedes Geräusch achtend,bewegte er sich tiefer in die Gasse.Er stieg die Laderampe hinauf und nahm die große Rolltür in Augenschein.Das Vorhängeschloss baumelte offen an einem Nagel.Die Tür stand etwa zwanzig Zentimeter offen.
Bingo.Bestimmt.
Weber ging jetzt vorsichtshalber davon aus,daß sein Kandidat möglicherweise in diesem Lagerhaus war.Aber das Gespräch mit dem Gerichtsmediziner war ihm noch zu gut im Gedächtnis,als das er es durch die Tür versuchen wollte.
Auch wenn er es nicht spürte,...Detective Pete Weber schwitzte wie ein Schwein.
Er sah sich um und entdeckte eine jener altmodischen Feuertreppen,
die sich wie das Gerippe eines metallenen Lindwurms an der Fassade eines Hauses hochschlängeln.
Perfekt.Am besten ein oder zwei Etagen höher einsteigen.Immer vorausgesetzt,er konnte von außen den Standort dieses Bastards ausmachen.Am Fuß der Treppe verharrte Weber kurz.Denn er dachte,daß dies ganz entschieden der Augenblick war,um die Eisenwaren auszupacken.Langsam,sehr langsam stieg er die angerosteten Stufen hinauf.Den Revolver,ganz vorschriftsmäßig
Lauf nach oben,in der verschwitzten Hand.
Es war ein stupsnasiger 38`er.Leicht und klein,aber wenn nötig genauso tödlich wie eines dieser Riesendinger,die die Streifencops an der Hüfte trugen.Er kannte einige Leute im Department,die ihre eigenen Waffen unterm Jacket trugen.
Verchromt oder mit Perlmuttgriff oder ähnlichem Schnickschnack.Weber hatte das nie für nötig befunden.Er kam gut zurecht mit der Standardwaffe für Zivilpolizisten.Er war kein zweiter Dirty Harry,aber er hielt sich für einen ganz passablen Schützen.Und wenn dieser Typ dadrin war,würde er ein echtes,wenn auch stupsnasiges Problem haben.
Im zweiten Obergeschoss brannte Licht.Und gerade als Weber sich bemühte durch die Milchglasscheibe etwas zu erkennen,hörte er einen gedämpften,aber zweifelsohne weiblichen Schrei.
Bingo.Aber wirklich.
In einem anständigen,nächtlichen Lagerhaus hatte keine Frau rumzubrüllen.Ohne großartig nachzudenken,trat er die Scheibe ein,sprang durch die entstandene Öffnung und brachte seine Waffe in Anschlag.Was er sah,war ein kahler Betonkorridor und eine zerkratzte Metalltür.Und genau von dort kam eben wieder ein Schrei.
Showtime Baby.Weber atmete tief durch und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn.
Er wollte gerade auf die Tür zugehen als diese sich öffnete.

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Donald Grebb war kein Feigling.In seiner Jugend war er sogar als Draufgänger verschrien.Aber jetzt wünschte er sich fast mit seinem telefonkundigen Kumpel abgehauen zu sein.
Der Gigant vor ihm beugte sich zu ihm herunter.
"Welches Haus ist es Mr.Grebb ?"
"Das da hinten sehen sie...Nach hinten geht es auf eine Sackgasse raus.Ich habe das überprüft." sagte Donald nicht ohne Stolz.
"Vor 'ner Dreiviertelstund ungefähr ist er da rein.Und er is noch nich wieder rausgekommen.Ich habe genau aufgepaßt."
"Sehr gut Mr.Grebb.Wie sah er denn aus ?"
"Oh,er trug eine Militärjacke und Jeans.Ein verdammt großer,kräftiger Kerl war das.Aber nich so groß wie sie Sir."
Der Mann im Mantel lächelte.
"Das haben sie wirklich gut gemacht Mr.Grebb.Wir sind ihnen zu großem Dank verpflichtet, .Mr.Van Dorn bat mich ihnen dies zu geben."Er griff in die Tasche und gab Donald einen Umschlag.
"Im Happy Days Hotel ist ein Zimmer auf ihren Namen gebucht.Ich nehme an,sie wissen wo das ist.Gehen sie dort hin und warten sie auf weitere Anweisungen.Kaufen sie sich andere Kleidung.Im Umschlag finden sie alles nötige.Und Mr.Grebb...wenn Mr.Van Dorn sie anruft,erwartet er sie nüchtern anzutreffen.
"Natürlich Sir.Kein Problem.Sie können sich ganz auf mich verlassen Sir."
"Sehr schön.Gehen sie jetzt."
Donald war entlassen.Der große Mann wendete sich dem Lagerhaus zu.
Donald mochte ums Verrecken nicht in der Haut des Mannes da im Haus stecken.Er steckte sich den Umschlag in die Tasche und ging.

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Webers Nerven waren bis zum zerreißen gespannt.Das hier war nicht das was er wollte.Er wollte die Tür aufreißen und etwas brüllen wie,Hände hoch,Polizei.Er wollte den Überaschungsfaktor für sich,die Situation kontrollieren.
Und nun wurde er stattdessen schwitzend und keuchend auf dem Gang überrascht.Das gefiel ihm gar nicht.Das quietschen der Tür ging ihm durch Mark und Bein und...stoppte.
Es hörte einfach auf.Die plötzliche Stille war fast greifbar und trug auch nicht unbedingt dazu bei Webers Nerven zu beruhigen.
Die Tür hatte sich nur etwa zehn Zentimeter geöffnet.Viel zuwenig jedenfalls,um einen Menschen hindurchzulassen.Also doch noch eine Chance,wenn er sich beeilte.
Er ging leise,und dabei so schnell er konnte auf die Tür zu.
Als er gerade die Hand nach dem Knauf ausstreckte und sich bereit machte seinen Spruch zu brüllen,schwang die Tür mit immenser Gewalt auf und traf ihn mit voller Wucht,frontal im Gesicht.Weber fühlte einen dumpfen Schmerz,sowie die unangenehme Erkenntnis,sich wie ein Idiot verhalten zu haben.Dann fiel er in ein Meer aus schwarzem Samt.

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Tower wußte genau wo er hinwollte.Normalerweise war er ein ziemlich unkomplizierter Mensch.Immer geradeheraus.Die subtileren Methoden überließ er Van Dorn.Auch jetzt wäre er gern,seinem Naturell entsprechend,einfach durch die Vordertür marschiert und hätte sich den Burschen gegriffen.Aber Van Dorn hatte ihm eingeschärft,daß der Frau auf keinen Fall etwas passieren durfte.Wenn sie überhaupt noch lebte.Wenn das nicht der Fall war,würde der Kerl sich sehr weit weg wünschen.Denn dann würde Van Dorn ein paar Antworten mehr wollen.Tower konnte sehr energisch sein wenn er wollte.Ja sogar brutal.Aber wenn Van Dorn es für nötig hielt, war er von geradezu viehischer Grausamkeit, zu der Tower niemals fähig gewesen wäre.Van Dorn sagte immer,Brutalität wäre die Gewalt des Pöbels.Grausamkeit hingegen sei ein Aristokrat.Auf eine perverse Art machte das Sinn.Wie alles was Van Dorn sagte.Tower hatte es längst aufgegeben seinen Freund und Arbeitgeber zu verstehen.Dieser Mann war mit normalen Maßstäben einfach nicht zu messen.
Da er also die Geiselsituation zu berücksichtigen hatte,sondierte er das Gelände genau,und beschloß schließlich hinten reinzugehen.
Er sah die Feuertreppe und benutzte ohne es zu wissen den gleichen Weg wie Pete Weber einige Minuten zuvor,wobei ihm das zerbrochene Fenster sehr gelegen kam.
Für einen Mann von solch enormen Ausmaßen,bewegte sich Tower erstaunlich leise.Geschmeidig wie eine Großkatze schlich er die Treppe hinauf und durch das zersplitterte Fenster.Auf dem Gang gab es nur eine Tür.Vermutlich waren der Kidnapper und das Mädchen in dem Raum dahinter.Es würde einen Kampf geben.Das war so gut wie sicher.Er mußte die beiden also zunächst trennen,damit ihr nichts passierte.So gab er sich also keine Mühe die knackenden Geräusche zu vermeiden,die entstanden,als er durch den scherbenübersähten Gang schritt.Vor der Tür wartete er einige Sekunden.Nichts.Keine Reaktion.Bestimmt war dieses leise Knacken nicht durch die dicken Wände gedrungen.Dann also anders.Tower ergriff die Klinke , öffnete ganz langsam die Tür und wartete.

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Weber hatte im College Football gespielt.Er konnte sich an ein Spiel erinnern,bei dem er versucht hatte einen gegnerischen Spieler aufzuhalten,der aussah wie ein Kampfpanzer.Der Typ war gute vierzig Pfund schwerer als Weber und er erwischte ihn voll mit der Schulter.So oder ahnlich mußte man sich fühlen,wenn man von einem Bus überfahren wird.Und so oder ähnlich fühlte er sich jetzt wieder.Sein Schädel brummte und seine Nase pumpte in regelmäßigen Intervallen Schmerzen in sein Gehirn.Scheiße,bestimmt gebrochen.Aber als er die Augen aufschlug,wurde ihm klar,daß es schlimmeres gibt als eine gebrochene Nase.Viel schlimmeres.
Mitten in dem ansonsten leeren Raum saß eine nackte Frau auf einem Stuhl und sie war wirklich übel zugerichtet.Ein großer muskulöser Mann in einem verschwitzten Unterhemd schlenderte lässig auf sie zu.In seiner Hand hielt er eine bösartig aussehende Bohrmaschine.
Weber drehte sich der Magen um bei dem Gedanken,was hier gleich passieren würde.Aber er war zum zuschauen verdammt.seine Hände waren mit Handschellen (Ironischerweise mit seinen eigenen) an ein stabiles Heizungsrohr gefesselt.Und all das nur weil er sich wie ein Anfänger hatte hereinlegen lassen.Gerade wollte Weber den Mund öffnen um diesen Irren abzulenken und etwas Zeit zu gewinnen,als sich wie von Geisterhand die Tür öffnete.
Der Mann mit der Bohrmaschine stutzte.Dann legte er das Instrument vorsichtig neben sich auf den Boden.Die Tür gähnte wie ein hähmisches,zahnloses Maul.Leise schlich der Mann darauf zu und hindurch.Dann ging alles sehr schnell.Man hörte von draußen einige dumpfe und klatschende Geräusche und dann kam der Mann im Unterhemd drei Meter weit zurück in den Raum geflogen.Er war völlig blutbesudelt und sein Gesicht war eine einzige offene Wunde.Klatschend landete er zwei Meter neben Weber und blieb still liegen.
"Zu wem gehören sie ?"
Weber konnte in diesem Augenblick nicht besonders intilligent ausgesehen haben.Aber das war ihm im Moment scheißegal.
Die Stimme kam von der Tür,aus dem Mund eines viel zu großen Mannes,auf den genau die Beschreibung eines gewissen Mädchens passte.Weber hatte,da war er sicher,seinen Dealer-Killer gefunden.
Und er war an die Heizung gekettet.Jetzt,und erst jetzt bekam er echt Angst.Er schluckte und sein Kehlkopf fühlte sich an als wäre er aus Knäckebrot.Der Riese hatte begonnen behutsam die Fesseln der Frau zu lösen.Offenbar war sie ohnmächtig.
"Nun Mister,ich möchte wissen ob sie zu ihr gehören oder zu diesem Haufen Scheiße da." Er deutete auf den Mann mit dem Unterhemd.
"Da sie auch gefesselt sind,halte ich letzteres für ziemlich unwahrscheinlich.Also wer sind sie.Und ich rate ihnen mich nicht zu belügen.Ich gelte als jähzornig."
Weber glaubte ihm das aufs Wort.Und er würde ihn bestimmt nicht belügen denn er hatte nicht die geringste Lust sich zu dem verhinderten Bohrmaschinenbenutzer zu gesellen.
"Ja also.." zum Teufel jetzt stotterte er sogar.
"Genaugenommen gehöre ich zu keinem von beiden.Ich bin hier eher durch Zufall hineingeraten."
Der Riese sah ihm ins Gesicht und zog eine Augenbraue hoch.
"Das hört sich ziemlich schwach an wie ? Ist aber die reine Wahrheit.Sehen sie,ich bin Police Officer und habe jemanden gesucht als ich hier Schreie hörte.Dann bin ich durchs Fenster rein um der Frau zu helfen."
"Mit bescheidenem Erfolg.Was ging schief ?"
"Ja,da habe ich mich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.Er hat mich mit der Tür erwischt bevor es überhaupt losging.Und was tun sie hier wenn man fragen darf ?"
"Meinen Job Officer.Nur meinen Job."
Er hatte die Frau losgebunden und hüllte sie nun in seinen Mantel.Vorsichtig legte er sie auf den Boden.Dann fischte er,sehr zu Webers Erstaunen,ein hochmodernes Funktelefon aus einer Gürteltasche und tippte eine Nummer ein.
Jetzt wurde es wirklich interessant.Webers Theorie vom Einzeltäter platzte wie ein Luftballon.Trotz seiner Angst davor,was dieser Mann mit ihm tun würde,war seine berufliche Neugier nach wie vor da.Wen zum Teufel rief der Typ da an ? Und wieso hantierte er mit teurer High Tech ? Nun bei der Beute die er gemacht hatte,konnte er sich das fraglos leisten.Aber trotzdem wirkte das filigrane Instrument in den Händen dieses Monstrums seltsam deplaziert.
Offenbar hatte am anderen Ende,wo immer das auch sein mochte, jemand abgenommen,denn der große Mann sprach jetzt.Er sprach in ruhigem Plauderton.Die Situation war seiner Stimme in keiner Weise anzumerken.
"Ja hallo,hier ist Tower.Geben sie mir bitte Mr.Van Dorn."
Er wartete und Pete Weber hing an seinen Lippen,als wolle der Mann das neue Evangelium verkünden.
"Sir ? Soweit alles erledigt.Den Mann habe ich ausgeschaltet.Ja er lebt noch.Jawohl,die lebt auch noch aber sie braucht einen Arzt.Der Kerl hat sie ziemlich zugerichtet.Ja gut aber wir haben noch ein Problem.Als ich reinkam lag hier ein gefesselter Mann,der behauptet Polizist zu sein.In Ordnung."
Er drückte die Unterbrecher-Taste und verstaute das Telefon wieder an seinem Gürtel.Weber war sicher,das mit dem letzten Satz über sein Schicksal entschieden wurde.Er konnte nicht behaupten,das ihn dieser Umstand beruhigte.
"Mein Auftraggeber schickt einen Wagen.Was Sie betrifft Officer,so hielt er es für das Beste wenn sie mitkommen."
"Na gut ich habe nichts dagegen."
"Das trifft sich.Ich wollte ihnen nämlich gerade nahelegen,nicht etwa zu versuchen,irgendwoanders hinzugehen.Ich würde das nicht zulassen.Verstehen sie."
"Oh ja.Machen sie sich keine Sorgen."
"Sehr schön.Dann kann ich ihnen die Handschellen abnehmen.Sie sind schließlich nicht mein Gefangener."
Jedenfalls solange ich nicht versuche abzuhauen,dachte Weber.Aber er hatte tatsächlich nichts derartiges vor.Besser hätte es doch gar nicht kommen können.Er wurde direkt zum Chef gebracht.Wenn dieser doch noch beschließen sollte,daß ein toter Polizist viel pflegeleichter ist,konnte er immer noch fliehen.Vielleicht.
Der Riese beugte sich über Weber und nestelte an den Handschellen herum.Weber wußte nicht ob er den Schlüssel hatte oder es mit einem Dietrich versuchte.
"Scheißdinger,verdammte.."
Offenbar hatte er keinen Schlüssel.Weber sah den Mann der sich am Telefon Tower genannt hatte jetzt zum erstenmal aus der Nähe.
Er trug Jeans und ein Arbeiterhemd.Beides in verwaschenem Grau.Grobe Stiefel und ein Hut,es war wohl ein Borsalino,verkomplettierten seine Ausstattung.Der Haarschnitt war schulterlang und absolut nicht zeitgemäß. Das Gesicht wurde von einem gepflegten Bart eingerahmt.Graue Augen mit buschigen Augenbrauen und vielen Lachfältchen.Er sah nicht unsymphatisch aus,aber Weber hatte nicht vor zu vergessen,daß dieser Mann höchstwahrscheinlich ein dutzend Menschen umgebracht hatte.
Endlich fühlte er wie die Handschellen von seinen Gelenken glitten."Warum kann heute niemand mehr Stricke benutzen."
Tower wandte Weber den Rücken zu und betrachtete eingehend die metallenen Fesseln.Kaum das seine Hände frei waren,begann Weber seinen Körper abzutasten.Nicht etwa nach Blessuren sondern nach seiner Waffe."Wenn sie einen stupsnasigen 38er suchen,der mal wieder gereinigt werden müßte,den habe ich.Der Bösewicht hatte ihn im Gürtel."
"Oh,tatsächlich...tja das war dann wohl meiner."
Weber war sich bewust wie lahm das klang,aber was sollte er denn anderes sagen.
"Keine Angst.Sie bekommen ihn natürlich zu gegebener Zeit zurück,aber im Moment brauchen sie ihn ja sowieso nicht.
Ich denke der Wagen müßte gleich da sein.Lassen sie uns heruntergehen."
"OK Soll ich ihnen mit dem Mädchen helfen ?"
Der größere lächelte nachsichtig.
"Ich denke ich schaffe das schon.Danke."
Behutsam lud er sich die Frau auf,die in seinen Armen wirkte wie ein Kind und ging voraus.Man konnte meinen,er würde nur den Mantel tragen,obwohl die Frau nicht unbedingt klein war.
Weber rappelte sich auf und ging langsam hinterher,wobei er vorsichtig seine malträtierte Nase betastete.Als sie an der Laderampe an der Rückfront herauskamen,wartete dort bereits eine große Limosine.Ein altmodischer Coup de Ville mit getönten Scheiben.Der Fahrer war nicht zu erkennen.Weber beobachtete wie Tower das verletzte Mädchen sehr vorsichtig in den Fond legte.Und kurz,ganz kurz nur flammte der Gedanke an Flucht in seinem Kopf auf.Aber die Neugier siegte und er setzte sich neben die Frau in das geräumige Auto.Tower sagte er würde noch einmal hochgehen um den Fiesling zu holen.Er wollte den Kidnapper also mitnehmen.
Schon wieder eine Sache,die Weber nicht verstand.Das war unter rivalisierenden Gangstern durchaus nicht üblich.Kurz darauf gesellte sich Tower zu ihnen und klopfte an die Trennscheibe zum Cockpit,worauf sich der Wagen in Bewegung setzte.
"Wo haben sie denn den Bösewicht gelassen,wie sie ihn nennen ?"
Weber wollte die Fahrt nutzen um den Riesen gegenüber etwas auszuhorchen.
"Der fährt hinten mit.Wen übrigens haben sie gesucht als sie dieses perverse Tete a tete unterbrochen haben ?"
Die Frage kam so unvermittelt,daß Weber nicht sofort antworten konnte.Er war normalerweise nicht auf den Mund gefallen aber er empfand es gelinde gesagt als Unverschämtheit,daß jetzt offenbar er einem Verhör unterzogen wurde.
"Oh nur einen Drogendealer .."sagte er also."Ich bin bei der Drogenfahndung."
Und diese Antwort war ein Fehler.


Obwohl er sich sehr bemühte, konnte Weber nur sporadisch ihre Fahrtrichtung verfolgen.Der Riese ihm gegenüber saß völlig still da und schien die Fahrt zu genießen.Seit Weber ihm eröffnet hatte, er wäre von der Drogenfahndung hatte der Mann nichts mehr gesagt.
Jetzt, soviel konnte Weber erkennen fuhren sie durch den Prospect Park.Aber kaum das sie auf der Ocean Av. waren, bog der Wagen in eine der unzähligen Nebenstraßen ein.Und dann in die nächste,und die nächste.Bis Weber schließlich nur noch wußte, daß sie in Brooklyn waren.Plötzlich hielt der große Wagen an.In einer kleinen Nebenstraße, wie er sie nur aus drittklassigen Action-Filmen kannte.Der große Mann wurde lebendig.
"wir sind da.Folgen sie mir."Ein freundlicher Befehl.
Weber stieg aus und folgte dem Riesen, der mit der Frau auf den Armen in Richtung Straßenmitte ging.
Und dann, ganz unvermittelt und mit seiner Last begann Tower zu tanzen.Nein, ertanzte nicht wirklich.Er schlug nur mit dem Stiefel rythmisch auf die Straße.Auf einen Gullydeckel um genau zu sein.
Und, zum wiederholten mal an diesem Tag machte Pete Weber ein ziemlich dummes Gesicht, als daraufhin der GulLy von unten geöffnet wurde.
"Nur noch ein kurzes Stück zu Fuß Officer."
Tower grinste ihn an und ließ ihm den Vortritt.
Und Weber stieg hinab.
Verostete Eisensprossen führten etwa sechs Meter nach unten.
Entgegen Webers Befürchtungen, roch es nicht einmal unangenehm.
Nur der Duft von feuchtem Stein war zu bemerken.Allerdings war er sicher, daß es hier unten auch Stellen gab, wo das anders war.
Das hätte wenigstens zu seiner Situation gepasst. Denn wie man es auch drehte, er saß ganz fraglos in der Scheiße.
In diesem Teil der kanalisation floß nur wenig Wasser. Rechts und links des Rinnsals führten hochgemauerte Wege die Röhren entlang.
Rieselnder Sand von oben riß ihn aus seinen Gedanken. Er ging einen Schritt zur Seite um Platz für die anderen zu machen. Tower kletterte leichtfüßig, die verletzte Frau auf der Schulter zu Weber hinab. Über ihnen wurde der Gully geschlossen und es wurde plötzlich ziemlich dunkel. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag, wünschte Weber sich woanders hin.
Unten angekommen wechselte der große Mann die Frau auf seine Arme.
Das war für diese sicherlich bequemer, für ihn jedoch ungleich anstrengender.
Weber dachte sich, daß es so zwar viel heldenhafter aussah, er aber in dieser Situation darauf scheißen würde, wenn er das Mädchen weiter als zehn Meter zu tragen hätte.
Aber der Riese schien das Gewicht kaum zu spüren.
„Ist es ihnen recht wenn ich vorausgehe Detective ?“
fragte er jetzt mit einem freundlichen Lächeln, bei dem sich Weber irgendwie verarscht vorkam.
„Nur zu mein Freund, ich war lange nicht mehr hier.“
brummte er und ließ den anderen vorbei.
Ihr Weg führte sie durch dutzende von Röhren mit ständig neuen Abzweigungen und Gerüchen, die dem was der Polizist schon beim Abstieg erwartet hatte, ziemlich nahe kamen. Nach zehn Minuten verwarf Weber die Idee sich den Weg zu merken.
Alles sah hier zu ähnlich aus. Wäre er allein, würde er vermutlich verhungern, bevor er den nächsten gottverdammten Gullydeckel fand.Im übrigen, gab es ohnehin nicht viel zu sehen. Das einzige Licht kam von der Taschenlampe, die der große mann aus den unergründlichen Tiefen seiner Taschen hervorgezaubert hatte. Schon deswegen bemühte Weber sich nicht den Anschluß zu verlieren.
Sein Führer schritt zügig voran und kümmerte sich überhaupt nicht mehr um ihn.
Nach gut zwanzig Minuten verschwand der Riese unvermittelt in den Schatten.
Für einen kurzen Moment spürte Weber so etwas wie Panik.
Aber dann sah er den Widerschein der Lampe in einer Nische links von ihm.
Als er sich näherte hörte er das charakteristische Klingeln eines Schlüsselbundes.
Gleich darauf sah er die Tür in der Nische. Eine verkratzte, verrostete Stahltür, die soebenaufgeschlossen wurde.
Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür und Weber sah...


Was er nie für möglich gehalten hätte. Es war eingetreten. Er war besiegt. Wahrhaftig das war er. Zeit seines Lebens hatte er die anderen für Schwächlinge gehalten..
Undzwar ALLE anderen.Aber jetzt war er besiegt worden. Und er wußte nichteinmal wie.
Es war so schnell gegangen. Er ging hinaus. Ohne Angst. Warum auch...ER wurde gefürchtet, nicht umgekehrt.
Und gleich darauf hatte er das Gefühl von einem Zug überfahren zu werden, oder einer Naturgewalt trotzen zu müssen. Etwas, das er nicht verstand, das ihm über war.
Er hatte sich noch nie so verloren gefühlt.
Jetzt fühlte er Schmerzen, aber das war ihm egal. Er kannte Schmerzen seit frühester Jugend. Sie waren alte Vertraute. Er fühlte daß er in einem dunklen, engen Raum war
der sich bewegte, und er fühlte, und das war völlig neu...Angst.


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Ein großes Zimmer. Nein eher noch ein Salon, wie man ihn aus Erzählungen von Conan Doyle oder Horace Whalpole kennt. Altmodisch eingerichtet. Mit Kronleuchter, Sekretär
und Ohrensesseln und Kamin. Alles in allem, nicht das, was man hinter einer Tür in der Kanalisation erwartet hätte.
Die Wände waren gut und gerne vier meter hoch, und fast schon überladen geschmückt mit Gobelins, Gemälden, und diversen Artefakten primitiver Kulturen, wie Masken, Speeren und dergleichen mehr.
Eine reich verziehrte Treppe führte auf eine kleine Gallerie von der drei Türen abgingen.
Während Weber noch mit offenem Mund dieses groteske Scenario bewunderte, legte der große Mann die junge Frau behutsam auf ein riesiges Sofa.
Erst jetzt bemerkte er, daß hinter der Lehne eines ihm abgewandten Sessels eine schlanke, sehr blasse Hand hervorkam. Sein Instinkt sagte ihm ,daß dieser Mann, der direkt vor dem Kamin saß, sein Kunde sein mußte. Der große Boß höchstpersönlich.
Das Gehirn hinter den Morden, die der Gigant neben ihm begangen hatte.
„Nehmen sie Platz Detective. Wir sollten uns unterhalten.“
Es war eine sanfte, kultivierte Stimme. Aber in Webers Ohren klang sie wie Fingernägel auf einer Schifertafel.
„Sir.“
Der Riese, den Weber im Moment völlig vergessen hatte, meldete sich zu Wort.
„Bring sie ins Labor und reinige ihre Wunden. Ich komme gleich.“
Wortlos nahm der Mann seine Last, die für ihn keine war, wieder auf und verließ den Raum durch eine der drei Türen auf der Gallerie.
„Setzen sie sich doch zu mir ans Feuer Detective. Die Nächte werden um diese Jahreszeit schon recht unangenehm.“
der Polizist hätte es nicht erklären können, aber er hatte einen Heidenschiß vor diesem Mann, von dem er bis jetzt nur eine Hand gesehen hatte.
Aber er war auch ein Profi. Und ob dieser Tatsache gewann seine Neugier die Oberhand.Er stand auf und umrundete den großen Brokatbespannten Ohrensessel.
Als er seinen Gastgeber erblickte, weiteten sich seine Augen und er sank, unfähig ein Wort zu sprechen in einen ähnlichen Sessel.
Pete Weber glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

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„Anwaltskanzlei Straker und Barlow, Guten Morgen.“
„Guten Morgen. Hier spricht Perry Cure von der Northern State Traditional, ich muß Mr. Straker sprechen undzwar dringend. Und wenn sie sich einen Haufen Ärger ersparen wollen Schätzchen, dann fragen sie mich nicht ob ich einen Termin habe.“
Perry war schon sehr lange im Geschäft.
Er hatte nicht einmal drei Takte der Wartemusik gehört, als sich eine sonoreStimme meldete.
„Mr. Cure ? Straker hier.“
Aus irgendwelchen Gründen klang der Anwalt alarmiert.
„Guten Morgen Mr. Straker. Ich belästige Sie nur ungern, aber unsere Miss Warden arbeitet an einem Fall, der einen ihrer ehemaligen Klienten betrifft und...“
„Ja sie war gestern hier. Ist ihr etwas zugestoßen ?“
„Aber nein...Das heißt, ich weiß es nicht. Sie hat sich schon seit gestern nicht mehr gemeldet und das paßt garnicht zu ihr. Und nun weiß ich nicht so recht wo ich sie suchen soll.“
Perry war sich bewußt, wie blöd das klang. Aber die Aufregung des Anwalts hatte ihn angesteckt.
„Verdammter Dreck ! Ich hab´s geahnt.“
„Äh...ich verstehe nicht ganz...“
„Mr.Cure, können wir uns treffen ? Sofort ?“

 

To be continued....sometimes.

 

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Unvollendeter Mord
Die Klinge war von oben in den Mund eigedrungen, direkt neben den Zähnen, hatte dabei einen tiefen Schnitt in der Zunge hinterlassen
und war unten an der Stelle wo das Kinn in den Hals übergeht wieder ausgetreten.
Da lag sie nun. In einer schnell wachsenden roten Pfütze. und gurgelte und schluckte ihr
eigenes Blut. Sie lag ganz still, mit merkwürdig teilnahmslosen Augen. In diesem Winkel würde die Klinge neben ihrem
Kehlkopf in den Hals stechen, hätte sie genickt.
Aber sie nickte nicht. Es gab wohl nichts zu nicken.
Ich würde ihr so gern helfen. Aber das kann ich nicht. Ich bin ja nur der Erzähler und sie eine fiktive Person.
Verblutet man an so einer Verletzung? Und wenn ja wie lange dauert das?
Und wenn man diese Geschichte nicht weiter erzählt...
stirbt sie dann ewig?